Yulianna Avdeeva im Interview
« Die Musik ist immer da. »
Die russische Pianistin Yulianna Avdeeva gewann 2010 als erst vierte Frau den Chopin-Klavierwettbewerb. Die letzte Siegerin vor ihr war Martha Argerich 1965. Heute lebt Yulianna Avdeeva in München und spielt ihre Konzerte in den bedeutenden Sälen auf der ganzen Welt.
Classicpoint.ch: Wie schätzen Sie rückblickend den Sieg am prestigeträchtigen, internationalen Chopin-Wettbewerb 2010 ein?
Ich bin sehr stolz und glücklich, dass ich diesen Wettbewerb gewonnen habe. Mein Leben wurde viel intensiver. Es hat mir viele Türen geöffnet. Ich darf mit fantastischen Orchestern und sehr guten Dirigenten arbeiten sowie in den grossen Sälen spielen. Ich muss auch sagen, dass die Wettbewerbszeit damals 3-4 Wochen gedauert hat. Es war der 200-jährige Geburtstag von Chopin und in der Stadt Warschau, in der der Wettbewerb stattgefunden hat, herrschte eine unglaubliche Atmosphäre. Auch vom Publikum, das den Wettbewerb mitgeprägt hat, diese Unterstützung zu erfahren, das werde ich ein Leben lang nie vergessen.
Sind Wettbewerbsgewinne heute ein Muss für eine Pianistenkarriere?
Ich denke nicht. Es gibt immer wieder Persönlichkeiten, welche eine tolle Karriere ohne Wettbewerbsgewinn erreichen können. Das ist letztlich auch eine Typenfrage. Ich persönlich finde es eine gute Möglichkeit, wenn man sich mit einem Programm auf einen bestimmten Punkt vorbereiten kann. Wichtig ist aber, dass man nicht parallel Dutzende von Wettbewerbe mit dem gleichen Programm macht, sondern geschickt und gezielt sich auf einen bestimmten Wettbewerb vorbereitet und fokussiert. Interessant sind natürlich auch die vielen Leute, welche man erreichen kann, um seinen Bekanntheitsgrad zu steigern. Ich erinnere mich, dass es bei meinem Gewinn der erste Chopin-Wettbewerb war, der im Internet komplett live mitverfolgt werden konnte. Gerade in Asien hatten enorm viele Leute den Wettbewerb verfolgt, und so kannten mich viele Interessierte schon, als ich die ersten Konzerte in Asien spielen konnte.
Haben Sie anders gespielt beim Wettbewerb als Sie es im Konzert gespielt hätten?
Nein, Wettbewerbe unterscheiden sich eigentlich nicht von normalen Konzerten für mich.
Und wie sieht es diesbezüglich bei CD-Aufnahmen aus?
Da hat man natürlich andere Vorteile. Es gibt die Möglichkeit, bei einer Stelle verschiedene Varianten einzuspielen und zu schauen, welche am besten passt. Allerdings ist das zugleich ein Fluch, denn gefällt mir heute Variante 1, ist es morgen die Variante 2, welche ich passender finde. Sich da definitiv für immer festzulegen kann ganz schön schwer und anstrengend sein, nicht zuletzt auch für den Tonmeister.
Hat sich ihr Zugang zur Musik von Chopin und die Bedeutung seiner Musik für Sie seit dem Gewinn bis jetzt verändert?
Grundsätzlich bin ich in einem immer fortlaufenden Prozess. Als Mensch und Persönlichkeit erlebe ich tagtäglich Neues. Über Chopin erfahre ich auch immer mehr, habe die Chance bekommen, die unterschiedlichsten Orte, wo er gelebt hat, zu besuchen. Zudem sehe ich immer wieder Neues in den Noten, die uns Chopin überliefert hat, und so ergibt sich ein immer kompletteres Bild. Ich höre zwar höchst ungern meine eigenen Aufnahmen an, aber ich denke, dass ich im Laufe der Zeit klarere Vorstellungen habe und bestrebt bin, die musikalischen Ideen noch klarer und in jeder Phrase präziser zu formulieren.
Sie sind in Moskau aufgewachsen und wohnen in München. Was sind für Sie die Hauptunterschiede der beiden Städte?
Für mich sind beide Städte mit einem reichen Kulturleben gesegnet. Moskau hat eigentlich keine ruhige Phase, da ist 24 Stunden was los. München bietet mir mehr Ruhe. Insbesondere auch die nahe Natur mit den schönen Bergen helfen mir, die nötige Ruhe zu finden zwischen den vielen Reisen, die ich habe.
Sie haben auch sehr viele Konzerte in Asien. Spüren Sie Unterschiede beim Publikum zwischen Asien, Amerika und Europa?
Ja, da gibt es auf jeden Fall Unterschiede. Besonders faszinierend finde ich z.B., wie ruhig die Leute in Japan sein können. Normalerweise gibt es immer ein Grundgeräusch von den Bewegungen der Leute, gerade in grossen Sälen mit mehreren Tausend Besucher. In Japan können die Besucher aber 2.5 Stunden durchsitzen ohne sich zu bewegen. Es sind auch oft Kinder in den Konzerten mit dabei, und auch diese sind extrem ruhig und leise. Da frage ich mich manchmal, ob ich alleine im Saal bin. Trotzdem spüre ich das Publikum und kann die Kommunikation aufbauen.
Sie spielen verhältnismässig wenig Konzerte, ist das bewusst?
Ja, ich baue ganz bewusst Pausen ein, um neues Repertoire einzustudieren und auch neue Kraft zu tanken. Es darf keine Routine entstehen, dass ich von Konzert zu Konzert reise und die Freude und den speziellen, besonderen Moment eines Konzertes nicht mehr empfinden kann.
Sie spielen immer auf dem bereitgestellten Instrument. Nehmen Sie in irgendeiner Art Einfluss auf das Instrument, z.B. über den Klavierstimmer?
Das Instrument ist extrem wichtig. Die Flügel haben sehr unterschiedliche Charakteren und jeder Flügel hat eine Seele. Mit manchen ist man sofort per Du, man spürt sie. Der Flügel hilft einem dann, er merkt was man will und sucht. Dann gibt es Flügel, welche nicht so leicht zu beherrschen sind. Ein guter Klavierstimmer kann wahnsinnig viel optimieren. Ein guter Kontakt zum Klaviertechniker ist deshalb für mich sehr wichtig, gerade wenn ich immer wieder zurückkomme und an den gleichen Orten spiele. Da kennt man sich schon und der Techniker weiss was mir wichtig ist, wie meine Klangvorstellung aussieht.
Sind Sie mit anderen bekannten Pianisten oder Pianistinnen befreundet?
Als Pianistin ist man ja sehr einsam, da ist der künstlerische und menschliche Austausch mit grossen Künstlern sehr wichtig.
Träumen Sie auch von den Stücken, die Sie spielen/üben?
Ja ich träume sehr oft von Stücken. Faszinierend finde ich auch, dass ich im Schlaf Lösungen finde zu den unterschiedlichsten Problemen. Wenn man die Musik nur im Kopf spielen lässt, ist sie frei von jeglichen manuellen Einflüssen und somit eigentlich am reinsten von der Idee her.
Haben Sie neben der Musik auch andere Leidenschaften?
Die Musik ist immer da. Ich bin ein neugieriger Mensch mit vielen Interessen, aber ich kann mir nicht vorstellen, den Platz, den die Musik für mich innehat, mit einem anderen Hobby zu teilen.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.ch | 1.9.2016
© Foto: Christine Schneider
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