Teo Gheorghiu im Interview
«Ich bin dort zu Hause, wo ich ein Klavier habe»
Der 1992 in der Nähe von Zürich geborene schweizerisch-kanadische Pianist Teo Gheorghiu gab 2004 sein Konzertdebüt in seiner Heimatstadt in der Tonhalle. Seitdem ist er auf der ganzen Welt aufgetreten, darunter in Paris, Tokio, St. Petersburg, Madrid, New York und an allen wichtigen Spielstätten Londons. Er hat mit führenden Orchestern zusammengearbeitet, darunter das Danish National Symphony Orchestra, das Zürcher Kammerorchester, das Tschaikowsky Symphony Orchestra, das Royal Philharmonic Orchestra, das Tokyo Symphony Orchestra, das Orquestra Sinfonica de Bilbao und das Pittsburgh Symphony Orchestra.
Während seiner bisherigen Karriere arbeitete er mit angesehenen Dirigenten wie Sir Neville Marriner, Vladimir Fedoseyev, Matthias Pintscher und Alexander Shelley zusammen. Teo hat den 1. Preis beim Internationalen Klavierwettbewerb von San Marino und Franz Liszt International Piano Competition gewonnen. 2010 wurde er der jüngster Träger des begehrten Beethovenrings beim Beethovenfest Bonn und wurde 2017 beim Concours Musicale International de Montreal als "Bester kanadischer Künstler" ausgezeichnet. Seine erste CD wurde 2009 bei der Deutschen Grammophon veröffentlicht, seitdem nimmt er für Sony auf.
Sie konzentrieren sich zurzeit auf die nationalen Musikstilrichtungen Rumäniens, Spaniens und Frankreichs. Wie unterscheiden sich diese Stile, wo sind deren Merkmale?
Es gibt mehr Verbindungen als Unterschiede!
Alle drei Musikrichtungen spiegeln die verschiedenen Kulturen und ihre Geschichten wider, die gleichzeitig geografisch bezogen aber universell in ihrer Ausdruckskraft sind.
In meinem neuen Album Duende – meine Widmung an die Kultur und Natur Spaniens – ist der starke Einfluss von der Gitarre spürbar, sowie die gewaltigen Kontraste, Intensität und Leidenschaft die auch den Flamencogesang zeichnen. Weiter kann man in den Harmonien die kulturellen Einflüsse von Nordafrika hören.
Roma haben die musikalische Landschaft nicht nur in Spanien aber auch in Rumänien geprägt, wo Flöten, Hackbrett und Geigen ein Wirbelsturm der Emotionen erzeugen. Auf meiner nächsten Aufnahme werde ich versuchen, all diese Farben zu erfassen, mit Werken von Bartok und Enescu.
Die französische Musikstilrichtung ist weniger eine klassische Verkörperung der Volksmusik und mehr eine eigenständige Bewegung, die von steigender harmonischer Raffinesse gekennzeichnet ist.
Ihre Eltern kommen aus Rumänien, Sie haben aber in England und der Schweiz gelebt. Sie versuchen nun auf kultureller Ebene Rumänien als Land Ihrer Wurzeln kennenzulernen. Wie ist Ihr Bezug zu Rumänien?
Keine Frage, mein stärkster Bezug zu Rumänien ist durch die Musik. Schon als Kind waren Radu Lupu und Dinu Lipatti zwei Riesenvorbilder und heutzutage kriege ich auch Gänsehaut, wenn ich 'Taraf de Haidouks' zuhöre. Bis jetzt bin ich nur einmal in Rumänien gewesen – in Bukarest für einen Auftritt am George Enescu Festival. In der nächsten Zeit will ich gerne die rumänische Natur kennenlernen.
Nach der Zeit in London leben Sie nun in der Schweiz. Wo fühlen Sie sich mehr zuhause?
Ich bin überall zuhause wo ich ein Klavier habe und mich gut fühle. In London habe ich 16 Jahre verbracht, dort bin ich zum Mann geworden. Die Stadt ist ein Teil von mir geworden aber gegen den Schluss spürte ich, dass es nicht mehr der richtige Ort für mich war – ich brauchte mehr Natur. Jetzt habe ich mehr Natur in Fribourg, dazu hat es auch eine spezielle Atmosphäre in der Stadt selber – und drei Flughäfen in der Nähe!
Sie machen immer wieder lange Radtouren z.B. von London nach Marokko. Dabei sagen Sie, dass Sie viel für die Musik lernen können?
Musik ist eine Spiegelung vom Leben und der Interpret muss dem Ausdruck geben. Das heisst, auch wenn das Musizieren mein Lebensmittelpunkt darstellt, gebe ich dem Erleben in meinem Leben als Musiker ebenso viel Bedeutung. Ich versuche zuallererst, als Mensch im Gleichgewicht zu bleiben, so dass ich im Besitz aller meiner Kräfte bin. In der Verfassung kann ich dann auch wirklich alles geben – im Leben, sowie auf der Bühne.
Als ich in London auf das Velo gestiegen und Richtung Marokko geradelt bin, war das eine Handlung auf der Suche nach dem Gleichgewicht in meinem Leben.
Dieser Monat ohne Üben ist immer noch bei weitem meine längste ‘Durststrecke’, die auch unerwartete Folgen kurz darauf hatte: Nach meiner Rückkehr lernte ich das zweite Klavierkonzert von Beethoven in nur zwei Wochen. Ich hatte vorher eher mit 6 Wochen gerechnet, aber diese Schaffenspause hatte mein Hirn in einen ausgetrockneten Schwamm verwandelt!
Sie sind auch auf der Suche nach neuen Entdeckungen in der Welt der Volksmusik. Wie genau suchen Sie danach?
Mit viel Kuriosität und Leidenschaft, da halte ich lediglich Ausschau und schon bin ich gepackt von Klängen, die mich in die verschiedensten Klangwelten transportieren. Zudem hat die Migration der Roma von Indien – durch Nordafrika und Europa – nach Andalucia auch in meinen musikalischen Vorlieben Spuren hinterlassen.
Sie interessieren sich auch für Politik. Was stört Sie in der heutigen Zeit?
2020 hat aufgezeigt, wie tief Kultur in den politischen Prioritäten gesetzt wird: Kultur muss dicht machen, aber man kann weiter im Casino und am Black Friday Geld verschwenden? Diese Unbeständigkeit bringt nichts zur Entspannung der Situation und fügt der gesamten Kulturlandschaft schlimme Schäden zu.
Mit welchem Komponisten, der bereits gestorben ist, würden Sie sich gerne treffen und austauschen? Und warum?
Darüber musste ich lange nachdenken, da ich mit meinen Lieblingskomponisten schon eine tiefe Verbundenheit empfinde durch die Werke, die sie hinterlassen haben.
Mit Beethoven würde ich gerne Zeit verbringen. Austausch muss nicht unbedingt sein – am liebsten einfach am kreativen Prozess von Op.111 beiwohnen.
Ein kosmisches Stück, das mich jedes Mal zutiefst bewegt.
Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Kurzfristig ändert sich das momentan fast jeden Tag, deshalb lebe ich am liebsten im Moment. Natürlich hoffe ich sehr, dass mein Rezital in der Tonhalle Maag (Meisterinterpreten) und das 2. Piano Rezital mit Alex Ullman in der Elbphilharmonie stattfinden. Längerfristig gibt mir das 4CD-Projekt mit Claves eine konkrete Perspektive in dieser besonderen Zeit.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 01.01.2021