Saimir Pirgu im Interview
« Ich bin ein glücklicher Mann! »
Saimir Pirgu studierte zuerst Geige in seiner Heimatstadt Elbasan in Mittelalbanien. Es folgte ab dem Jahr 2000 ein Gesangsstudium am Konservatorium „Claudio Monteverdi“ Bozen bei Vito Maria Brunetti. Dort traf Pirgu Luciano Pavarotti, der ihn stimmlich betreute und mit ihm an vielen Rollen seines Repertoires arbeitete. Pirgu wurde von Claudio Abbado entdeckt, der ihn im Jahr 2003 als Ferrando in einer von ihm dirigierten Produktion von Così fan tutte nach Ferrara einlud.
Classicpoint.net: Sie haben zuerst Geige spielen gelernt. Welchen Einfluss hatte das auf Ihr Gesangsstudium?
Als ich in Albanien in der Grundschule war, nahm das seinem Ende zusteuernde kommunistische System durch Musikkurse und verschiedene Möglichkeiten, sich künstlerisch zu betätigen, Einfluss auf das Schulsystem. Ein wenig, weil ich es mir ausgesucht hatte und ein wenig, weil das System es mir vorgab, studierte ich Geige, machte meinen Abschluss, aber hörte nie auf zu singen. Das Studium eines Instruments hat stark zu meiner musikalischen Vorbereitung beigetragen, hat mein Gehör geschult und meine musikalische Sensiblität verfeinert. Ohne die instrumentalische Ausbildung, die ich ab diesem frühen Alter genossen habe, hätte ich es sicher nicht geschafft, mein Gesangsdiplom innerhalb von nur zwei Jahren zu machen, mit 20 Jahren zwei wichtige internationale Wettbewerbe zu gewinnen und meine Karriere derart früh und mit so großen Dirigenten zu starten.
Sie kommen aus Albanien. Was für einen Stellenwert hat klassische Musik in Albanien?
Albanien ist ein Land mit Tradition was die klassische Musik anbelangt. Nach dem zweiten Weltkrieg haben unsere Musiker vor allem in der ehemaligen Sowjetunion studiert und dort eine russisch geprägte Ausbildung genossen. In den darauf folgenden Jahren hat der albanische Kommunismus Einfluss auf die Musikausbildung genommen, die Entwicklung der lokalen Musiktradition und der Musiker gefördert, die technisch oft sehr gut vorbereitet waren. Das albanische Volk hat schon immer Musik geliebt. Wir haben verschiedene Theater und Symphonieorchester. Eine Musikszene im Miniaturformat würde ich sagen.
Ihre Eltern haben beide in der Metallindustrie gearbeitet. Wie war ihr Bezug zur klassischen Musik und Ihrem Entscheid, Sänger zu werden?
Meine Eltern hatten nie irgendeine Beziehung zur klassischen Musik. Sie haben in mir aber immer einen verantwortungsvollen Jungen gesehen. Da sie von klein auf meine natürliche Veranlagung zur Musik sahen, haben sie mich immer in meinen künstlerischen Entscheidungen unterstützt. Auch wenn diese manchmal riskant und leichtsinnig scheinen konnten. Obwohl mir meine Passion für den Gesang nicht von der Familie aus in die Wiege gelegt wurde, muss man doch sagen, dass sie immer in mir war. Schon als ich sehr klein war, liebte ich es zu singen und gab vor einem kleinen Publikum von Freunden und Bekannten Volkslieder zum besten. Die große Wende kam, als ich in der Mittelschule war. Wie ich schon oft gesagt habe, sehe ich mich als ein “Produkt” der Drei Tenöre. Ihnen zum Dank habe ich mit dem Gesang begonnen. Ich war ungefähr 13 oder 14 und lebte in Elbasan, eine kleine Industriestadt in Albanien und der Kommunismus war seit kurzer Zeit Vergangenheit, als ich das berühmte Konzert der Drei Tenöre in den Caracalla-Thermen im Fernsehen sah. Ich war fasziniert. Dieses Konzert nahm ich auf und hörte es mir unzählige Male an. Von diesem Moment an wusste ich, dass dies mein Leben werden würde, und so kam es. Ich war nicht einmal 18, als ich mein Geigenstudium abschloss und aus Albanien fortging, um nach Italien zu ziehen, der Heimat des Gesangs. Es war ein harter Schlag für meine Eltern mit anzusehen, wie ich Albanien verließ. Aber auch in diesem Fall haben sie mir vertraut und meine Entscheidungen nie in Frage gestellt. Auch weil sie sahen, dass meine Liebe zum Gesang von Tag zu Tag wuchs. Sie drückten mir für italienische Verhältnisse nicht besonders viel Geld in die Hand, aber es waren ihre Lebensersparnisse, und ließen mich gehen, um meinen Traum zu leben. Ich wurde im Konservatorium von Bozen aufgenommen, wo ich meinen Lehrer Vito Brunetti traf, der mich als Schüler in seine Klasse aufnahm und sehr an mich glaubte. Seinem Unterricht sei Dank, schaffte ich es, mein Gesangsdiplom innerhalb von etwas mehr als zwei Jahren zu machen und meine Karriere sehr früh zu beginnen. Meine Eltern, die es zuerst nicht glauben konnten, wie schnell das alles ging, wurden meine größten Fans und noch heute begleiten und unterstützen sie mich bei all meinen Entscheidungen. Ich bin stolz auf sie und werde nie aufhören, ihnen für ihr Vertrauen in mich zu danken.
Sie wurden von Luciano Pavarotti betreut. Können Sie uns etwas über die Zusammenarbeit mit ihm erzählen?
Pavarotti hat mich von Beginn meiner Karriere an sehr unterstützt. Ich habe Luciano Pavarotti kennengelernt, als ich am Konservatorium von Bolzano studiert habe. Der Maestro war in Merano (Norditalien), wo er eine Kur machte und es machte ihm Freude, seine freie Zeit zu verbringen, indem er sich junge, vielversprechende Sänger anhörte. Deshalb hatte er gefragt, ob es in der Umgebung junge Sänger gäbe, und man hatte ihm meinen Namen genannt. Ich stellte mich ihm vor und in diesem Moment enstand unsere Freundschaft. Ich studierte mit ihm die bekanntesten Werke des Opernrepertoires ein, die ich noch heute im Repertoire habe. Seine Ratschläge sind mir nach wie vor sehr präsent. Er war nicht nur ein großartiger Lehrer, sondern auch ein guter Freund und Ratgeber.
Es war ein großes Glück für mich, von Luciano Pavarotti unterrichtet zu werden. Er war sich nie zu schade, mir wertvolle und für meine Karriere fundamental wichtige Ratschläge zu geben. Vor allem erinnere ich mich an unsere Arbeit an der korrekten Aussprache, dem Passaggio und der Stütze.
Deshalb war es für mich auch eine ganz besondere Ehre, 2013 die Auszeichnung Pavarotti D'Oro zu gewinnen.
Was hat Sie am meisten beeindruckt an Luciano Pavarotti?
Pavarotti war immer mein Idol: Ich war schon immer besonders fasziniert von seiner außergewöhnlichen Stimmqualität, seiner perfekten Technik, wie er beim Singen auf die Wörter und die Aussprache achtete, sowie von seiner immer tadellosen Intonation und seiner Musikalität.
Menschlich kann ich sagen, dass er wie ein König war. Er war sich seiner Qualitäten und Fähigkeiten bewusst, aber gleichzeitig auch ein Mensch mit seltener Intelligenz und einer Intuition, die es ihm erlaubte, sofort zu erkennen, wen er vor sich hatte. Er liebte schöne Dinge, Farben und er war immer bereit, sein bestes zu geben – sowohl was den Gesang, als auch sein Privatleben angelangt. In seiner Gegenwart habe ich mich nie wie ein kleiner Junge gefühlt, obwohl ich so jung war, sondern wie ein Freund. Das war eine Eigenschaft, die typisch für Pavarotti und seinen Freundeskreis war.
Claudio Abbado hat Sie als erster grosser Dirigent entdeckt. Wie ist er auf Sie gekommen?
Im Alter von 20 Jahren hatte ich bereits den Wettewerb “Enrico Caruso” in Mailand und den Wettbewerb “Tito Schipa” in Lecce gewonnen sowie bei Alberto Zeddas Rossiniakademie in Pesaro mitgewirkt. Claudio Abbado hörte von mir, als er gerade dabei war, eine Produktion von Mozarts “Così fan tutte” zu besetzen, und wollte mich in einem Vorsingen hören. Ich erinnere mich, dass am Tag des Vorsingens mein Flug verschoben wurde und ich mit großer Verspätung ankam. Ich dachte, eine große Gelegenheit verpasst zu haben. Ich kam an und sah den Maestro, wie er mit seinem Orchester probte. Er forderte mich dazu auf, zu singen. Ich sang die halbe Arie, bevor er mich stoppte und sagte, dass ich die Rolle bekäme. Ich konnte es nicht fassen. Von diesem Moment an bestand eine tolle Verbindung zu ihm, er war ein sehr herzlicher Mensch. Es mag daran liegen, dass ich damals so jung war, aber ich denke, dass wenn man die Gelegenheit hat, mit großen Musikern wie Claudio Abbado zu arbeiten, man sich der Größe von dem, was da gerade passiert ist, erst später bewusst wird. Es war ein großes Glück, meine Karriere mit einem der größten Dirigenten zu beginnen. Für fast ein Jahrzehnt war meine größte Sorge, soviel wie möglich zu lernen, um dem außergewöhnlichen Start meiner Karriere gerecht zu werden und die Erwartungen, die der Maestro an mich hatte, nicht zu enttäuschen. So war es mit allen großen Dirigenten, mit denen ich garbeitet habe und die an mich geglaubt haben, wie z.B. auch Nikolaus Harnoncourt, mit dem ich 2008 als Idomeneo debütierte und Riccardo Muti, mit dem ich 2011 mein erstes Verdi-Requiem bei den Salzburger Festspielen sang.
Was gefällt Ihnen am besten bei Ihrer täglichen Arbeit?
In den ersten Jahren meiner Karriere habe ich es geliebt zu reisen, neue Orte und Kulturen kennenzulernen. In der letzten Zeit bin ich auch gerne daheim, da ich schon einen großen Teil der Welt bereist habe und 300 Tage im Jahr unterwegs bin. Auch wenn das Verlangen zu Reisen nicht mehr wie vor 15 Jahren besteht, wächst die Liebe zu meinem Beruf Tag für Tag. Musik zu machen, zu üben, sich zu perfektionieren, täglich Musik zu atmen... Das ist das Schönste an meinem Beruf. Ich bin ein glücklicher Mann!
Wo sehen Sie die Herausforderungen oder Unangenehmes?
Eine Herausforderung, der ich mich jeden Tag stelle ist die, eine Partie gut zu lernen, sie zu perfektionieren und langsam zu entwickeln. Der Sängerberuf, auch wenn er voller Opfer ist, hat viele positive Seiten. Zu den negativen Seiten gehört vor allem eine gewissen Einsamkeit, die alle Sänger vereint. Man ist oft weit weg von seinen geliebten Menschen, lebt ein paar Wochen an einem Ort, an dem man neue Freundschaften knüpft, bevor man schon wieder alles zurücklassen muss, wenn man zum nächsten Engagement reist. Das sind schwierige Situationen, die ein Sänger gewohnt sein muss und denen man sich stellen muss, die aber sofort zurückgezahlt werden, wenn man die Bühne betritt und umso mehr, wenn die Arbeit vom Publikum gut angenommen wird.
Sie sind noch jung und haben bereits enorm viele Auftritte pro Jahr. Wie erholen Sie sich jeweils? Wie pflegen Sie Ihre Stimme?
Das ist wirklich nicht leicht, vor allem für einen jungen Sänger, wenn man viele Vorstellungen im Jahr zu singen hat. Das erste Geheimnis ist die Repertoireauswahl und die Abfolge der Rollen im Kalender. Neuproduktionen helfen dabei, Energie zu tanken und sich bestmöglich auf eine Rolle vorzubereiten, da man eine lange Probenphase hat. Außerdem muss man wissen, wie man mit Erkältungen umgeht und wie man die Stimme langsam und gut aufwärmt, wenn man sie gut pflegen will, vor allem vor Vorstellungen. Eine gute Technik hilft ebenfalls sehr, die Stimme zu schützen.
Welche Interessen haben Sie ausserhalb der Musik?
Ich liebe das Leben und die schönen Dinge, die es uns schenkt. Ich liebe es, unter Menschen zu sein, von Freunden und Familie umgeben zu sein und viel Zeit mit ihnen zu verbringen. Außerdem liebe ich das Meer, ich schwimme und schnorchle gerne. Ich bin viel an der frischen Luft und gehe laufen, ich mag den Kontakt zur Natur und höre gerne alle Richtungen von Musik.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 1.12.2017
© Foto: Fadil Berisha