Reinhold Friedrich im Interview
«Wann outen sich die schwulen Blechbläser?»
Reinhold Friedrich ist seit seinem Erfolg beim ARD-Wettbewerb 1986 auf allen wichtigen Podien der Welt zu Gast. Neben seiner Konzerttätigkeit ist er als Professor für Trompete an der Hochschule für Musik Karlsruhe, als Honorarprofessor an der Royal Academy of Music in London und als Gastprofessor an der Royal Academy of Music in Aarhus/Dänemark sowie an der Elisabethen-Hochschule für Musik in Hiroshima/Japan tätig.
Classicpoint.ch: Wann und warum haben Sie begonnen, Trompete zu lernen?
Ich war 7 Jahre alt und kam verschwitzt mit meinem besten Freund aus dem Wald vom Indianer/Cowboy-Spielen. Er zeigte mir eine neue "Scheibe" (gemeint ist eine kleine Schallplatte, früher Single genannt) mit dem Brandenburgischen Konzert. Davon war ich so fasziniert, dass ich, zuhause angekommen, meinen Eltern nur noch mitteilte, dass ich eine Trompete brauche, weil ich jetzt Trompeter bin. Beim nächsten Geburtstag wars dann soweit. Ich hatte die erste "geliehene" Trompete in meinen Händen und war überglücklich!
Sie sind als Solist, Orchestermusiker und Kammermusiker weltweit aktiv. Sie stellen aber Ihre Professur in den Mittelpunkt Ihres Lebens. Was macht die Leidenschaft für die Lehre bei Ihnen aus?
Vor vielen, vielen Jahren hat mir das der gute alte Celibidache ins Stammbuch geschrieben: Die edelste und wichtigste, aber auch schwierigste Aufgabe im Leben ist das Unterrichten. Heute bekomme ich die Früchte der Arbeit so oft zurück, dass ich im Nachhein sagen muss: Ich bin der Beschenkte. Was gibt es schöneres, als jungen Menschen eine Lebensperspektive mit zu ermöglichen. Der Eine spielt das B. A. Zimmermann-Konzert, die Andere spielt mit tollen Ensembles die Barocktrompete oder kriegt eine der raren Stellen als Professor/in für Trompete.
Sie spielen nicht nur die moderne Trompete sondern auch die Barocktrompete. Inwiefern unterscheidet sich das Spiel?
Es gibt Instrumente wie z.B. Posaune oder Violine, oder denken sie an den Gesang, bei welchen die Überschneidung des Neuen mit dem Alten recht hoch ist? Da ist der Wechsel einfacher. Bei der Barocktrompete ist der Unterschied gewaltig was die Konzentration auf dieses Eine sinnvoll macht. Es gibt ja Menschen, die etwas schlauer sind als ich. Sie spielen nur Barock oder nur Modern. Ich "versuche" immer wieder den Spagat zwischen diesen Extremen. Es bedarf eines anderen Mundstücks, einer anderen Spieltechnik, Artikulation, Stils, etc. Dieses Eis ist dünn und gefährlich. Manchmal bekommt man so ein Hochgefühl: "Genau so soll's sein"! Dafür mache ich das. Inzwischen ist es aber auch Teil einer zeitgemäßen Anforderung im Unterrichtsalltag. Wir Professoren müssen uns weiterbilden und arbeiten, nicht nur die Studenten...
Als Besonderheit beherrschen Sie zusätzlich das Spiel auf der Klappentrompete. Können Sie uns die Eigenheiten dieses Instrumentes erklären?
Naja, da kommen Sie aber mit heftigen Worten daher. WER beherrscht dieses Instrument denn wirklich? Die Klappentrompete ist und bleibt ein BASTARD. Felix Mendelssohn-Bartholdy aus Italien schrieb in einem Brief an Fanny: "Ich bin hier in Italien und höre diese Klappentrompeten. Sie klingen wie Frauen mit Bart oder Männer mit Busen!" Übrigens, wo wir grade beim Thema sind und die Olympiade eben vorbei ist: Grüße nach Sotschi an Herrn Putin (Wann outen sich denn die schwulen Blechbläser? Die Fussballer haben angefangen – letzte Machobastion sind die Blechbläser!)
Wie unterscheiden sich eigentlich deutsche und amerikanische Trompetenmodelle?
Deutsch mit Drehventilen (sitzt – heisst: wird querhaltend gespielt): weicher, verschmelzungsintensiver, bessere Grundintonation, mehr Luft.
Amerikanisch/Französich mit Pistonventilen (steht – heisst: wird gerade bzw. aufrecht gehalten gespielt): solistischer, präsenter, beweglicher, frecher.
Sie interessieren sich neben der Barockmusik auch stark für neue Musik. Sie haben zahlreiche Erst- und Uraufführungen gespielt mit Werken von Wolfgang Rihm, Sir Peter Maxwell Davies, Rebecca Saunders, Hans Werner Henze, Nicolaus A. Huber oder Adriana Hölszky. Haben Sie bei diesen Kompositionen jeweils Kontakt mit den Komponisten bei der Einstudierung gehabt?
Nicht zu vergessen: Der neue Basler Professor Johannes Caspar Walter, Herbert Willi – der Mozart aus dem Vorarlberg, Luca Lombardi – B. A. Zimmermanns letzter Schüler zusammen mit Peter Eötvös, Christian Wolff aus NY, Benedict Mason aus London und der gerade verstorbene Theo Brandmüller. Die Entehungsprozesse waren so vielseitig und unterschiedlich, dafür bräuchte ich eine Extraausgabe ihrer Interviewserie...
Haben Sie bei gewissen Werken auch Einfluss auf die Komposition ausgeübt?
Hoffentlich nicht zuviel (lacht). Als bekennender Hand- und Mundwerker habe ich einen schlechten Einfluss auf die Kreativität und Spontaneität der "Künstler". Aber manchmal lässt es sich nicht verhindern. Die Komponisten stellen ja auch die eine oder andere Frage nach Machbarkeit und Vermögen des Künstlers. Was dann dabei rauskommt, stellt oft das Erfragte genau auf den Kopf. Als Beispiel die Frage: Wie hoch können Sie spielen? Antwort (R.F.): Naja, so bis g```, a```. Dann kommt die Komposition mit einem B```oder noch höher. Es gibt bei diesen Herrschaften schon auch den einen oder anderen Spinner, Klang-Terroristen, Musiker-Piekser. Genau das ist es aber auch, was die Sache voranbringt. Menschen, die bereit sind zum Tabubruch – zur Grenzüberschreitung.
Für die Einspielung des Solokonzertes "Nobody knows the trouble I see" von Bernd Alois Zimmermann wurden Sie mit dem ECHO-Klassik-Preis ausgezeichnet. Was fasziniert Sie an diesem Werk?
Es ist eines der schönsten, wenn nicht gar das schönste und bedeutendste Konzert für unser Instrument und mit seinen 70 Jahren hübscher und jünger als Heidi Klum!
Sie sind seit dem Gründungsjahr ständiger Solo-Trompeter des Lucerne Festival Orchestra unter der Leitung von Claudio Abbado. Wie hat sich das Orchester Ihrer Meinung nach in den letzten 10 Jahren entwickelt?
Es fällt heute, kurz nach seinem Tod, schwer, darüber zu reden, zumal dieses Orchester mit ihm entstanden ist und so auch wieder verschwinden wird. Was danach kommt, muss man sehen. Die Welt dreht sich weiter, und wir können nicht in Trauer für immer verharren. Aber im Moment sind die Tränen noch nass und das Loch, das er hinterlässt ist so gross, dass meine Vorstellungskraft nicht dazu ausreicht, wie es weitergehen soll. Natürlich sind wir in den 10 Jahren immer enger und intensiver miteinander umgegangen und hatten diese FLOW-Momente, nach denen sich jeder Künstler-Mensch sehnt. Aber die waren auch getragen von unserer gegenseitigen Liebe, der Achtung und dem Respekt, den wir auch den Werken schuldig waren und sind.
Haben Sie neben der Trompete auch noch Zeit für andere Interessen?
Meinten Sie, Interviews für Zeitungen, Radio oder Fernsehen zu geben, oder meinten Sie E-Mails, SMS, Anrufbeantworter und Post zu bedienen, oder in Gremien wie dem Deutschen Musikwettbewerb zu sitzen oder Programme für Nachwuchsmusikfestivals schreiben zu dürfen? Wenn ich mit meinem Auto durch den Wald fahre, z.B. zwischen Erfurt und Kirchheimer Dreieck Richtung Frankfurt kann es mir passieren, dass irgendetwas wie mein rechter Fuss eine Vollbremsung macht und ich eine Minute später eine kleine Sammlung Steinpilze auf meinem Rücksitz habe. Für Pilze verpasse ich fast die Zeit, auch für das Kochen danach: Eine schöne Krause Glucke mit ein bisschen Salz, Pfeffer und ein paar guten Nudeln ... hmm, da läuft das Wasser im Mund zusammen. Also Pilze sammeln, Kochen, Weintrinken, Bücherlesen, mit Freunden zusammensitzen. Meine Pavoni-Espressomaschine und ein guter Kaffee ist so wichtig wie mein kleiner Weinkeller. Übrigens auch Zitrusfrüchte, Blutorangen, Grapefruit, Zitronen etc. Ich habe keine Probleme mit zitronebeissenden Zuhörern in der ersten Reihe, im Gegensatz zur allgemeinen landläufigen Meinung macht mir das nichts aus – ich liebe Zitronen!
Interview von Florian Schär | Classicpoint.ch | 1.4.2014
Bild: Rosa Frank