Midori im Interview
« Musik fördert, nährt, heilt und inspiriert den Geist. »
Midori ist eine visionäre Künstlerin, Aktivistin und Pädagogin. Durch ihren unermüdlichen Willen, die Verbindungen zwischen Musik und der menschlichen Erfahrung an sich zu erkunden und zu erweitern, hat ihre einzigartige Karriere traditionelle Grenzen gesprengt. Diese tatkräftige Innovationsfreude und die aus ihr resultierenden ausdrucksstarken Interpretationen und Projekte, die Midori zu einer der ganz großen Geigerinnen unserer Tage gemacht haben, durchziehen auch ihre anderen Rollen als führende internationale Kulturbotschafterin und passionierte Musikpädagogin.
Classicpoint.net: Sie haben den Komponisten Peter Eötvös zu seinem Violinkonzert DoReMi inspiriert, das Sie auch uraufgeführt haben. War es eine Kollaboration zwischen Ihnen?
Ich habe es sehr genossen, mit Herrn Eötvös zusammenzuarbeiten, sowohl als Komponist als auch als Dirigent. Es war etwas Besonderes, unter seiner Leitung aufzutreten und das Stück aufzunehmen. Er ist ein sehr klarer Komponist, und doch ist der Charakter dieses Stücks sehr rhapsodisch und individuell. Ich war zu Beginn etwas überwältigt von seiner Tiefe. Es ist kein langes Stück, aber es enthält sehr viel.
Sie haben zwei Non-Profit-Organisationen gegründet, die letztes Jahr ihr 25. Jubiläum gefeiert haben. Können Sie uns diese vorstellen?
Als ich Anfang der 90er-Jahre gesehen habe, wie die Musik aus den öffentlichen Schulen New Yorks gestrichen wurde (ich war damals 19 Jahre alt), wollte ich etwas dagegen tun. Die Musik bringt uns zusammen und ich kenne die Freude, die sie bereiten kann. Ich dachte mir, dass diese unermesslichen Vorteile den Schülern nicht vorenthalten werden dürfen, weshalb ich begann, in den Schulen Konzerte abzuhalten und mit den Schülern über Musik, mein Instrument, meine Karriere, etc. zu sprechen. Das war der Beginn von Midori & Friends. Bis heute hat es ca. 250 000 Schüler in unterversorgten, öffentlichen Schulen in New York erreicht.
Im selben Jahr gründete ich MUSIC SHARING in Japan. Zuerst war es die Midori & Friends-Zweigstelle in Tokyo, seit 2002 ist es eine eigenständige Non-Profit-Organisation. MUSIC SHARING hat sich verpflichtet, den Bedürfnissen von Kindern zu dienen. Die Organisation bringt westliche klassische Musik und traditionelle japanische Musik in die Leben junger Menschen in Japan und in (vorwiegend Entwicklungs-) Gebiete in ganz Asien. Sie bietet umsonst Aktivitäten an Schulen, in Krankenhäusern und anderen Institutionen an, und hat in den 25 Jahren seit ihrer Gründung 250 000 Kinder erreicht. Viele dieser Kinder hätten ansonsten nicht die Möglichkeit gehabt, etwas über Musik zu lernen oder Live-Musik-Darbietungen zu geniessen. Einmal im Jahr organisieren wir z.B. das „International Community Engagement Program“ (ICEP). Es ist ein kulturelles Austausch-, Outreach- und Trainings-Programm. Jedes Jahr bilde ich ein Streichquartett mit drei jungen MusikerInnen und zusammen verbringen wir dann zwei Wochen in einem asiatischen Land, vor allem in unterversorgten Regionen. Ein halbes Jahr später verbringen wir zwei weitere Wochen in Japan, wo wir Schulen, Krankenhäuser, Flüchtlingslager, Wohnprojekte und andere Bildungs- oder Sozialorganisationen, die sich um Leute in schwierigen Situationen kümmern, besuchen und treten dort auf.
Sie haben auch noch andere Projekte entwickelt. Können Sie uns dazu auch noch etwas sagen?
Eines meiner anderen Projekte ist das „Partners in Performance“-Programm, das Kammermusikkonzerte mit dem Ziel präsentiert, das Interesse an klassischer Musik zu stimulieren. Dies insbesondere in kleineren Gemeinden ausserhalb des Radius grösserer urbaner Zentren, die nicht über die notwendigen finanziellen Ressourcen verfügen. Und dann mache ich noch das „Orchestra Residencies Program“, welches die amerikanischen Jugendorchester unterstützt. Über einen Zeitraum von fünf bis sieben Tagen nehme ich an einer Vielzahl von Veranstaltungen teil, wie zum Beispiel Meisterkurse, Performance Workshops, Mahlzeiten mit Q&A Sessions, etc.
Sie halten regelmässig auch Vorträge zu kultureller Diplomatie. Was sind die Kernbotschaften dieser Vorträge?
Der Glaube, dass Musik den Geist fördert, nährt, heilt und inspiriert und dass es eine positive Auswirkung auf unsere Zukunft als globale Gesellschaft hat und auch weiter haben wird, wenn wir sie den Kindern Musik näher- und beibringen.
Sie haben schon verschiedene Auszeichnungen erhalten, so zum Beispiel den Crystal Award des Weltwirtschaftsforums in Davos, und Sie sind UN-Friedensbotschafterin. Wo können Sie Ihren Einfluss ausüben?
Ich geniesse es, Leute zusammenzubringen, um gemeinschaftlich zu arbeiten, einander kennenzulernen und Diskussionen zu führen. Musik ist dafür sehr wirksam. Schlussendlich kann ich meinen Einfluss überall ausüben, sei es im Konzertsaal, wenn ich Schüler unterrichte, oder wenn ich für eine der Organisationen, die ich gegründet habe, aktiv bin.
Sie unterrichten seit 14 Jahren in Los Angeles und wechseln nun nach Philadelphia. Gleichzeitig sind Sie auch in Japan als Gastprofessorin tätig. Wo sehen Sie die grössten Unterschiede innerhalb der klassischen Musik zwischen diesen zwei Kulturen?
Meine Hauptlehrtätigkeit war schon immer in den USA. In Japan unterrichte ich zwei Mal jährlich öffentliche Meisterkurse. Dort habe ich nicht meine eigenen Schüler wie in meinem „Studio“ an den US-Schulen. Ausserdem unterrichte ich im Sommer Meisterkurse in Europa, oder auch während des Schuljahrs, sofern es sich zeitlich einrichten lässt.
Sie haben auch Gender Studies und Psychologie an der New York University studiert und eine ganzheitliche Unterrichts-Philosophie entwickelt. Könne Sie diese erklären?
Ich geniesse es, mit jungen KünstlerInnen zu arbeiten und Ihnen zu helfen, Ihre eigene Stimme zu finden, indem ich ihre ganze Persönlichkeit berücksichtige.
Sie sind so vielseitig und engagiert, wie bringen Sie all dies in Einklang?
Mir gefällt die Arbeit, die ich in all diesen verschiedenen Bereichen, in denen ich involviert bin, ausüben kann. Jedes Projekt inspiriert die anderen und sie dienen als Motivation für neue Projekte.
Haben Sie Zeit für sich selbst?
Ja.
Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft und die Zukunft der Menschheit?
Dass wir alle den Frieden finden, um die Freude, die von der Kunst ausgeht, zu geniessen; diesen Zustand, der es uns ermöglicht, die schönen Dinge des Lebens auszukosten. Es ist nicht nur ein Frieden, der uns körperliches Wohlbefinden bringt, sondern uns auch ermöglicht, uns glücklich zu fühlen, uns menschlich zu fühlen und in Frieden zu sein mit dem Rest der Welt.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 1.5.2018
© Foto: K. Miura