Jonas Kaufmann im Interview
«Da habe ich das erste Mal ans Aufhören gedacht.»
Der deutsche Tenor Jonas Kaufmann gehört derzeit zu den bekanntesten Sängern der Welt. Sowohl als Konzertsänger wie als Opernsänger ist er auf den grossen Bühnen zuhause. Zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen dokumentieren seinen Erfolg.
Classicpoint.ch: Sie sind bereits früh als Kind mit der Oper in Berührung gekommen. Wie waren diese ersten Kontakte?
Überaus positiv und prägend. Mein Schlüsselerlebnis in Sachen Oper war eine Aufführung von Puccinis „Butterfly“ im Nationaltheater München, eine Sonntagnachmittagsvorstellung für Kinder. Das muss, wenn ich mich recht erinnere, in meinem ersten oder zweiten Grundschuljahr gewesen sein, ich war also 6 oder 7. Ich saß neben meiner Schwester in der ersten Reihe, direkt in der Mitte, gleich hinter dem Dirigenten, und war ganz fasziniert. Der riesige Raum, die Samtbezüge der Sitze, die Bühnenbilder, die Kostüme, die Musik… Und plötzlich stand die Frau, die sich gerade erstochen hatte, vor dem Vorhang und war wieder lebendig! Das habe ich einfach nicht fassen können. Oper war für mich wahrhaftig, echt und ernst. So habe ich es empfunden, und das ist in gewisser Weise bis heute so geblieben. Und ich glaube fest daran, dass Oper diese magische Wirkung auch auf heutige Kinder und Jugendliche haben kann, trotz allem, was Fernsehen und Internet bieten.
Den ersten individuellen Gesangsunterricht erhielten Sie ja mehr oder weniger per Zufall aufgrund des Leistungskurses Musik, wie kam es dazu?
An unserem Gymnasium gab es zwei Chöre: den Unterstufenchor für die jüngeren Anfänger und den Kammerchor für die Fortgeschrittenen, und mir hat das Chorsingen immer Spaß gemacht. Mindestens zwei Schulstunden pro Woche waren für die Chorproben reserviert, und vor großen Konzerten haben wir auch bis zu drei Mal wöchentlich am Programm gearbeitet. Und das waren durchaus anspruchsvolle Programme, mit Kantaten und Motetten, und offenbar muss meine Stimme schon damals aufgefallen sein, jedenfalls hat mir der Chorleiter irgendwann die Tenor-Soli gegeben. Dann sah ich eines Tages eine Zeitungsannonce: Sänger für den Extrachor des Staatstheaters am Gärtnerplatz gesucht! Also hab ich mich zum Vorsingen angemeldet und wurde mit 17 Jahren das jüngste Mitglied im Extrachor.
Als dann die Entscheidung über die Wahl der Leistungskurse anstand, hatte ich eigentlich vor, Mathematik und Physik zu wählen. Dann hieß es, dass für die Mindestzahl der Teilnehmer an einem Musikleistungskurs nur noch eine Person fehlte. Aber das hätte bedeutet, dass ich für das geforderte Instrumentalspiel wieder täglich stundenlang hätte Klavier üben müssen, und darauf hatte ich nun wirklich keine Lust. Was aber, wenn sie das Singen als Ersatzdisziplin akzeptierten? Also schickten sie mich an die Musikhochschule zum Vorsingen. Dort wurde mir die ordentliche Beherrschung meiner Stimmbänder schriftlich bestätigt und damit die Ausnahmegenehmigung des Ministeriums befürwortet: Singen im Abiturfach Musik – unter der Bedingung, dass ich regelmäßig professionellen Gesangsunterricht nehme. Und so ging ich zwei Mal wöchentlich zu Christof Schuppler an die Musikhochschule.
Nach dem Abitur fingen Sie ein Mathematikstudium an. War damals ein alternatives Gesangsstudium schon ein Thema?
Vorerst nicht. Mit dem Abitur in der Tasche folgte ich 1988 dem Rat meiner Eltern und schrieb mich in München für das Mathematikstudium ein. Was „Solides“ sollte es sein, etwas, womit man später eine sichere Anstellung kriegt, so wie mein Vater, der ein ordentliches Auskommen hatte und für seine Familie sorgen konnte. Denn Familie wollte ich auch, und mir war ebenso klar, dass berufliches Singen ein ziemliches Wagnis ist. Außerdem hatte ich bereits einige Chorsänger kennengelernt, die gerne Solokünstler geworden wären und bei denen das nicht geklappt hatte. All das hatte ich im Hinterkopf, als ich mich für ein Studium der Mathematik entschied.
Was gab letztlich den Ausschlag dafür, dass Sie sich vom Mathematikstudium verabschiedeten und ein Gesangsstudium begannen?
Während des Mathematik-Studiums wurde mir zunehmend klar, dass ich nicht zum Büroalltag geboren bin. Irgendwann war der Druck so groß, dass ich mich schließlich für die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik im Fach Gesang anmeldete. Und ich bestand auf Anhieb. Danach kostete es mich noch mal ein ganz schönes Stück Mut, die vermeintlich sichernde Mathematik an den Nagel zu hängen.
Nach dem Studium bekamen Sie direkt eine Stelle am Staatstheater Saarbrücken. Nach der ersten Spielzeit hatten Sie jedoch zunehmend Probleme mit Ihrer Stimme. Was war da genau los?
Mein Körper war schlicht und einfach nicht trainiert genug, um den harten Theateralltag des Anfängers zu bewältigen. Wenn man von der Hochschule kommt, hat man ja keine Ahnung, was einen im ersten Engagement erwartet. Ich bin da wirklich aus allen Wolken gefallen, und es ging bei mir bis zum völligen Stimmversagen. Das war bei einer Aufführung von „Parsifal“; ich sang die Partie des dritten Knappen, eine sogenannte Wurze. Um mich herum lauter Wagner-Stimmen, und daneben wollte ich natürlich nicht wie eine Mücke klingen. Also habe ich ordentlich Stimme gegeben – und war nach wenigen Phrasen stockheiser. Ich machte den Mund auf, und es kam nur noch heiße Luft, die Stimme blieb einfach weg. Der Dirigent schaute mich völlig entgeistert an. Für einen Sänger ist das natürlich ein Alptraum. Da habe ich das erste Mal ans Aufhören gedacht: „Wenn das der Sängerberuf ist, wenn man mit diesem Stress jeden Abend auf die Bühne soll, dann mach ich was anderes, das tue ich mir nicht an.“ Heute weiß ich, woran es lag: Ich habe die Stimme zu sehr festgehalten, ich habe sie nicht frei strömen lassen, weil ich auf diesen „deutschen Klang“ trainiert war. Diese Krise führte aber glücklicherweise zu einer der positivsten Erfahrungen meines Berufslebens, nämlich zur Begegnung mit meinem Lehrer Michael Rohdes. Bei ihm lernte ich, meine eigene Stimme zu benutzen statt so klingen zu wollen, wie man sich an der Hochschule einen „lyrischen Tenor“ vorstellt.
Alexander Pereira holte Sie einige Jahre später mit einer Festanstellung nach Zürich. Wie war die Zeit am Zürcher Opernhaus für Sie?
Sehr schön. Zürich war der sichere Hafen – und zugleich das Mutterschiff, von dem aus meine internationale Karriere begann. Als mit Alexander Pereira einen Festvertrag anbot, habe ich erstmal gezögert. Festvertrag bedeutete für mich Zwangsjacke. Doch dann sprach ich mit dem Züricher Kollegen Oliver Widmer, und der erklärte mir, dass ein Festvertrag in Zürich etwas ganz anderes bedeutet als das, was ich bisher kannte. Und er hatte recht: Es bedeutete lediglich eine bestimmte Anzahl von Aufführungen; ich war nicht die ganze Spielzeit hindurch gebunden, konnte auch mitentscheiden, was ich singe und was nicht. Und natürlich war die Aussicht verlockend, mit meiner Familie in Zürich zu wohnen und in wenigen Minuten am Theater zu sein. Es ist schon ein Unterschied, ob man als Sänger quasi allein in der freien Wildbahn unterwegs ist und aus dem Koffer lebt oder ob man an einem Theater singt, wo man sich wirklich zuhause fühlt. Man kennt jeden Techniker, jeden Orchestermusiker, jeden Chorsänger und natürlich auch alle Kollegen, man kann auch Partien ausprobieren, von denen man vielleicht nicht hundertprozentig überzeugt ist. Und darum habe ich mich an der Zürcher Oper wirklich zu Hause gefühlt.
Nach Auftritten in Amerika und an den Salzburger Festspielen haben Sie Ihr Debut an der Metropolitan Opera in New York gegeben. Wie war das für Sie persönlich?
Ein unvergesslicher Tag, das, was man „den großen Durchbruch“ nennt. Und damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Das Publikum war ja gekommen, um Angela Gheorghiu als Traviata zu hören, und mich kannten höchstens ein paar Insider in New York. Umso mehr hat mich die Reaktion des Publikums bei meinem Solovorhang getroffen: Die Leute sind von den Sitzen gesprungen und haben getobt. Ich habe das einfach nicht fassen können, es hat mich buchstäblich umgehauen. Ich weiß nur noch, dass ich auf die Knie gesackt bin und gedacht habe: „Meinen die wirklich mich?“ Das klingt jetzt total nach diesem Klischee, das man von Oscar-Verleihungen kennt, aber so habe ich diesen Moment wirklich empfunden – weil ich niemals mit einer derartigen Reaktion gerechnet hätte. Ich hatte die Partie des Alfredo ja schon einige Male gesungen, in Stuttgart und in Chicago, und die Leute fanden es sehr nett. Aber dass ein ganzes Haus deswegen Kopf steht, dass Leute Bravo schreien, die mich gar nicht kennen, das konnte ich zuerst gar nicht fassen.
Welche Partien haben Sie bis jetzt noch nicht gesungen, welche Sie gerne singen würden?
Da gibt es einige! Ganz oben auf der Wunschliste sind Verdis Otello und Wagners Tannhäuser, dann natürlich der Hoffmann. Als nächstes Rollendebut ist der Des Grieux in Puccinis „Manon Lescaut“ geplant, im Juni 2014 in London.
Was ist das Wichtigste bei einer Sängerausbildung, was legen Sie jungen Sängerinnen und Sängern ans Herz?
Bleibe immer dir selbst treu, traue dem eigenen Instinkt, lerne, guten und schlechten Rat zu unterscheiden und sorge dafür, dass Körper, Geist und Seele in Balance bleiben.
Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft?
Gesund zu bleiben und mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.ch | 4.1.2014
Bild: Dietmar Scholz