Jean-Yves Thibaudet im Interview
«Meine liebsten Autos sind von Ferrari.»
Als einer der begehrtesten Solisten unserer Zeit hat Jean-Yves Thibaudet die seltene Fähigkeit, poetisches Feingefühl mit blendenden technischen Fähigkeiten zu kombinieren. Sein Talent, aus jedem Werk zarte, überraschende Farben und Strukturen hervorzuholen, beschrieb die New York Times so: "Jede Note, die er formt, ist eine Perle... Die Freude, Brillanz und Musikalität seines Spiels kann man nicht überhören." Thibaudets musikalische Tiefe und natürliche Ausstrahlung verhalfen ihm zu einer Karriere, die ihn seit 30 Jahren um die ganze Welt führt und sich in über 40 Alben widerspiegelt.
Classicpoint.ch: Sie sind dieses Jahr Artist in Residence am Menuhin Festival Gstaad. Was darf man erwarten?
Als Artist in Residence habe ich die Möglichkeit, länger vor Ort zu sein als üblich. Ich werde eine Woche lang in Gstaad Zeit haben für Proben, Gespräche und Konzerte. Das ist sehr schön, und ich freue mich sehr darauf. Ich werde das Klavierkonzert von Ravel, ein Rezital mit Sol Gabetta und ein Klavierquintett spielen.
Sie vergeben immer wieder Kompositionsaufträge. Nach welchen Kriterien suchen Sie sich Ihre Komponisten aus?
In erster Linie muss mich die Musik berühren. Dabei spielt es keine Rolle, ob es zeitgenössisch ist oder nicht. Komponisten, welche mit ihrer Musik meine Gefühle wecken können, sind für mich interessant.
Geben Sie auch konkrete Wünsche für die Komposition oder lassen Sie dem Komponisten freie Hand?
Ich lasse den Komponisten komplett freie Hand. Alle 2 Jahre versuche ich, neue Werksaufträge zu platzieren. Zu helfen und dabei zu sein, wenn gute neue Musik entsteht, ist mir sehr wichtig.
Sie haben durch Ihre Lehrerin Lucette Descaves eine traditionell französische Klavierschule durchlaufen. Wie würden Sie die typisch französische Tradition charakterisieren?
Das ist schwer zu sagen. Eigentlich sind diese Traditionen ja bereits ausgestorben. Heute, wo alle mobil sind und Meisterkurse auf der ganzen Welt besuchen, vermischen sich die Traditionen, und die Studenten haben eine universelle, globale Ausbildung. Die frühere französische Tradition wurde oft als oberflächlich charakterisiert. Das ist Schwachsinn. Ich würde sie als besonders farbig definieren. Man hat versucht, die Farben zu suchen, um möglichst farbenreich zu spielen.
Ihre Lehrerin war selbst Schülerin und Freundin von Ravel. Wie ist Ihre Beziehung zur Musik von Ravel?
Zu Ravel habe ich seit meiner Kindheit ein ganz besonderes Verhältnis. Mein erstes Orchesterwerk, das ich mit 3 Jahren gehört habe, war Daphnis et Chloé von Ravel. Später, als ich mit 11 Jahren mein erstes Konzert als Solist mit Orchester geben durfte, habe ich dafür das Ravel-Klavierkonzert gewählt. Meine Lehrerin war zuerst nicht begeistert und meinte, das sei viel zu schwierig. Ich bestand aber darauf, wollte es unbedingt und bearbeitete sie, bis ich durfte.
Sie lieben schnelle Autos und wechseln diese jedes Jahr. Welche Autos fahren Sie zurzeit und welche Strecken sind Ihnen am liebsten?
Meine liebsten Autos sind von Ferrari. Schon als 3-Jähriger wusste ich, was ein Ferrari ist und habe gesagt, dass ich später einmal ein solches Auto fahren werde. Es ist für mich immer ein wunderbares Erlebnis, mit einem Ferrari unterwegs zu sein. Ich kaufe meine Ferraris übrigens immer in Basel ein. Vielleicht kann ich es einrichten, mit dem Ferrari nach Gstaad zu fahren. In der Berglandschaft über die Pässe zu fahren, das wäre wunderbar.
Welche Musik hören Sie während dem Autofahren?
Ganz unterschiedliche: Pop, Jazz, Worldmusic etc. ausser Klassik. Bei klassischer Musik muss ich konzentriert sein beim Hören und kann die Musik nicht einfach im Hintergrund laufen lassen.
Sie leben in Los Angeles und haben eine Wohnung in Paris. Wo sind Sie mehr zuhause?
Obwohl ich Franzose bin, fühle ich mich in Los Angeles viel mehr zuhause. Das Klima, die Leute, die Stimmung und das Lebensgefühl entsprechen mir sehr.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.ch | 1.6.2015