Herbert Schuch im Interview
«Ab und zu höre ich meine Aufnahmen von früher an.»
Der Pianist Herbert Schuch hat sich mit seinen dramaturgisch durchdachten Konzertprogrammen und CD-Aufnahmen als einer der interessantesten Musiker seiner Generation einen Namen gemacht. 2013 erhielt er den ECHO Klassik für seine Aufnahme des Klavierkonzerts von Viktor Ullmann sowie Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 gemeinsam mit dem WDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Olari Elts. Bereits 2012 war Herbert Schuch für seine Aufnahme der Quintette für Klavier und Bläser von Mozart und Beethoven mit einem ECHO Klassik in der Kategorie „Kammermusikeinspielung des Jahres“ ausgezeichnet worden.
Classicpoint.ch: Sie sind in Rumänien geboren und nach erstem Klavierunterricht in Ihrer Heimatstadt nach Deutschland gezogen. Wo ist Ihre Heimat heute? Was verbindet Sie noch mit Rumänien?
Meine Heimat ist auf jeden Fall Deutschland. Da ich als Kind einer deutschen Familie in Rumänien geboren wurde und Deutsch meine Muttersprache ist, war für mich als Achtjähriger der Moment des Ankommens 1988 in Nürnberg, in diesem eigentlich mir fremden Land, so etwas wie ein Heimkommen. Endlich sprachen alle die gleiche Sprache wie ich! Rein deutsch war meine Familie aber nicht. Meine Cousinen wurden ungarischsprachig erzogen, da mein Onkel eine Ungarin geheiratet hatte. Der Mädchenname meiner Mutter war Draskovic, ein serbischer Name. Es war also alles multikulti, wenn Sie so wollen. Der rumänische Staat war ja relativ tolerant mit den Minderheiten. Es gab zum Beispiel eine deutsche Schule, in die mein Bruder ging. Das hatte natürlich auch historische Gründe. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war die Bevölkerung im sogenannten Banat überwiegend deutsch und ungarisch. Diese wurden dann quasi über Nacht zu Rumänen, nachdem dieser Landesteil nach dem ersten Weltkrieg an Rumänien abgetreten wurde. Der Einfluss der alten k.-u.-k. Monarchie war aber sprachlich immer noch zu spüren. Meine Grossmutter redete immer noch von Paradeisern, wenn sie Tomaten meinte… Rumänisch habe ich übrigens nur im Kindergarten und in den ersten beiden Schuljahren gesprochen, davon ist aber nichts übrig geblieben. Der einzige Bezug zu Rumänien, den ich noch habe, ist meine erste Klavierlehrerin, Frau Prof. Maria Bodo. Sie hat das Fundament meiner Technik gelegt, ich verdanke ihr wirklich viel.
Ihre Lehrer waren alle über 50 Jahre alt. Haben Sie diese bewusst so ausgewählt?
Nein, nicht bewusst! Herr Kurt Hantsch, bei dem ich meinen Unterricht in Deutschland, genauer gesagt in Rosenheim fortsetzte, war einfach der beste und strengste Lehrer da am Ort. Er hatte noch Edwin Fischer gehört. In seiner Wohnung gibt es immer noch kaum Platz, da alles mit Büchern, Noten und tausenden von CDs gefüllt ist. Karl-Heinz Kämmerling in Salzburg schließlich war die erste Adresse, die mein Vater für mich als 12-jährigen in der Region ausfindig machen konnte. So studierte ich dann parallel zu meinem Gymnasium schon bei ihm in Salzburg und habe eine Ahnung bekommen, wie wichtig das zentraleuropäische Repertoire für uns Pianisten ist! Zusammen mit Brendel waren das die Lehrer, die mich am meisten geprägt haben. Alle drei wurden um 1930 geboren! Ich bin wirklich sehr glücklich, dass ich durch diese Menschen etwas aus dieser so weit zurückliegenden Epoche mitnehmen konnte.
Sie haben in den letzten Jahren auch mit Alfred Brendel zusammen gearbeitet. Können Sie uns darüber etwas erzählen?
Den Unterricht mit Alfred Brendel kann man natürlich beschreiben, das wird aber nie die Intensität zeigen, die dieses Zusammenkommen immer hatte. Bei allen Differenzen, die es natürlich in Detailfragen gibt, habe ich nie einen Musiker getroffen, der so mit allen Fasern seiner Seele und des Körpers Musik denkt, erlebt und durchleidet. Seinen berühmten Humor sucht man im Unterricht auch vergeblich. Der ist ernst, unglaublich genau, und immer auf der Suche nach dem richtigen Charakter in Verbindung mit Klang, Agogik und Artikulation. Ein wenig hilflos komme ich mir jetzt aber auch vor, denn so aufgeschrieben sind das ja alles Gemeinplätze. Um wirklich etwas darüber zu erfahren, wie der Unterricht bei Alfred Brendel abläuft, müsste ich jetzt etwas spielen und anhand des Klanges erklären, welche gedanklichen Prozesse bei Brendel und dann, mit der Zeit, auch bei mir entstanden sind. Wenn ich trotzdem versuchen soll, etwas aus der Fülle an Informationen herauszupicken, sodass Brendel als Pianist immer versucht hat, nicht „Pianist“ zu sein, sondern ein Orchester, ein Streichquartett oder einen Sänger auf der Bühne darzustellen. Das trifft auf fast die gesamte deutsch-österreichische Musik tatsächlich zu! Von Bach bis Schönberg ist das Klavier doch nur ein geniales wie gleichzeitig armseliges Medium, um Gedanken unmittelbar auszudrücken. Deswegen muss man als Pianist immer denken: Wie soll das jetzt klingen? Spielen da gerade 4 oder 80 Leute? Diese Frage stellt sich bei Chopin nie. Da ist es immer ein Pianist, der sich selbst beim Singen auf dem Klavier begleitet.
Sie suchen in Ihren CD- und Konzertprogrammen überraschende Kombinationen. Wie gehen Sie vor bei der Zusammenstellung Ihrer Programme, was ist Ihnen dabei wichtig und wie finden Sie diese Kombinationen?
Ganz unterschiedlich. Den Schubert-Janacek-Zyklus, in dem ich die grossen Klavierwerke von Schubert mit den viel zu wenig bekannten Klavierstücken von Janacek kombiniere und in 6 Konzerten in Salzburg aufgeführt habe, verdanke ich einer Eingebung im Schlaf. Bei meinem "invocation“- Programm war es der Anruf von Nike Wagner, der für das Kunstfest in Weimar einen Klavierabend zum Thema „Anrufung“ erbat. So habe ich dann eben angefangen Musik zu diesem Thema zusammenzustellen.
Schumann war schon immer einer meiner liebsten Komponisten. Mein Album „Sehnsuchtswalzer“ habe ich im Schumann-Jahr 2010 zusammengestellt, um seine frühen Tanzzyklen zu feiern und die geheime Verbindung des Carnaval op.9 mit einem Walzer von Schubert aufzuzeigen. Viele Ideen ergeben sich in Gesprächen mit anderen Musikern und Künstlern. Kreativität lebt vom Austausch!
Als Sie gleich 3 bedeutende Wettbewerbe in einem Jahr gewannen, erregten Sie internationales Aufsehen. Spielten Sie gerne Wettbewerbe? Was war Ihr Schlüssel zum Erfolg? Spielten Sie in einem Wettbewerb anders als in einem Konzert?
Mein letzter Wettbewerb ist schon über 10 Jahre her, diese Zeit scheint endlos weit weg zu sein. Jedenfalls dachte ich damals, dass Wettbewerbe für mich der einzige Weg seien, um eine Karriere zu machen. Das hat natürlich sehr viel mit meinem Lehrer Karl-Heinz Kämmerling zu tun, der alle seine Schüler mehr oder weniger sanft dazu überredet hat, Wettbewerbe zu spielen. Ich hatte irgendwie Glück. Ich habe rasch einige grosse Wettbewerbe gewonnen und habe diese Erfolge natürlich auch genossen. Neben einem gewissen sportlichen Aspekt haben mich aber die Wettbewerbe vor allem gelehrt, wie wichtig es ist, wirklich umfassend vorbereitet zu sein. Ich habe die Sportlichkeit schon auch als Ansporn genommen, mich so gut und intensiv wie möglich mit den Stücken zu befassen. Anders als im Konzert habe ich nie gespielt, allerdings hatte ich nach einigen nicht so gut gelaufenen Wettbewerben die Erkenntnis gewonnen, lieber keine Schubert-Sonaten im Wettbewerb zu spielen. Zu unterschiedlich waren da die Ansichten der Juroren, und vermutlich war ich dieser Musik damals auch noch in keinster Weise gewachsen. Aber Wachsen geht nur mit Erfahrung. Diese soll man dann lieber in Konzerten machen und nicht im Wettbewerb.
Sie sind noch jung. Wenn Sie zurückschauen, wo sehen Sie Ihre Hauptentwicklungen?
Ich sehe einige grosse Linien. Einerseits die sicherlich sehr behütete Schulzeit, in der ich viel geübt und wenig öffentlich gespielt habe. Ich bin ganz normal zur Schule gegangen und habe Abitur gemacht. Es war also alles eher entspannt. Dann die intensive Studienzeit in Salzburg mit vielen unvergesslichen Konzerterlebnissen! Es gibt ja ausserhalb der Festspielzeit eine sehr spannende musikalische Szene, auch für neue Musik. Ich habe da wirklich viel gehört und viele Entdeckungen gemacht. Lachenmann, Klaus Huber und Toshio Hosokawa waren persönlich in Salzburg und haben ihre Werke präsentiert. Es gab einen unvergesslichen Abend mit Nikolaus Harnoncourt und dem Hagen-Quartett, bei dem ein Mozart-Quartett gespielt wurde und danach Harnoncourt anhand des Autographs mit dem Hagen Quartett an der Musik gearbeitet hat.
Dann kam die Phase, in der ich die Wettbewerbe gemacht habe und danach auch eine gewisse Ratlosigkeit – die Wettbewerbe hatte ich gewonnen, aber wie sollte meine musikalische Entwicklung weitergehen? In dem Moment kam Alfred Brendel in mein Leben und hat mir gezeigt, an welchen Dingen man als Musiker sein ganzes Leben lang arbeiten kann und muss, wenn es ein erfülltes Musikerleben sein soll.
Im November heben Sie Ihr Debut mit Valery Gergiev und dem Mariinsky Orchester in München gegeben. Haben Sie sich das 1. Klavierkonzert von Prokofjew ausgesucht?
Valery Gergiev hat ja alle 5 Prokofiew-Konzerte in München aufgeführt und hat sich einen deutschen Solisten für das erste Konzert gewünscht. Ich habe mich natürlich sehr gefreut, dass er mich als Solisten haben wollte. Prokofiev ist an sich nicht wirklich mein Repertoire. Aber ich liebe diese Musik heiss und innig! Sie ist so witzig, so erfrischend anders als die Musik die ich normalerweise spiele! Prokofiev mit Marijinski und Gergiev, diese Kombination ist ja wie Weihnachten und Ostern zusammen! Es war auch ein intensives Erlebnis, und sehr interessant zu sehen, wie er mit nur zwei, drei Details in den Proben die ganze Atmosphäre im Orchester schaffen kann. Übrigens, die 8. Sonate von Prokofiev habe ich in meinem Zürich-Debüt in der Tonhalle vor vielen Jahren gespielt. Das ist wiederum ein gigantisches, tiefgründiges Werk, mit dem man wahrscheinlich auch nie fertig wird.
Wo möchten Sie hin, was sind Ihre Ziele?
Es gibt ja bei so einer Frage immer zwei mögliche Antworten: Wo geht die Karriere hin, oder was passiert mit der musikalischen Entwicklung? Idealerweise lassen sich beide Stränge gleichzeitig verfolgen. Der Umstand, dass man mit immer besseren Orchestern spielt, muss ja leider nicht automatisch heissen, dass man als Musiker immer tiefgründiger wird! Manchmal ist die Entwicklung sogar gegenläufig. Das möchte ich auf jeden Fall vermeiden! Um beides auszubalancieren, brauche ich immer wieder Phasen in denen ich mich in Ruhe mit einem Stück befassen kann. Für mich ist Kammermusik enorm wichtig! Mit wunderbaren Musikern und lieben Menschen auf der Bühne zu stehen und diese Form der musikalischen Kommunikation pflegen, das macht mich glücklich, das möchte ich so oft es geht machen. Und ab und zu höre ich auch meine Aufnahmen von früher an. Das ist hochinteressant zu sehen, was sich musikalisch in den Jahren bei mir so verändert hat und was sich noch verändern soll. Mit der Musik ist man eben nie fertig.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.ch | 3.2.2016
© Foto: Felix Broede