Daniel Müller-Schott im Interview
«Solche Momente gab es nie.»
Daniel Müller-Schott zählt heute zu den weltbesten Cellisten und ist auf allen wichtigen internationalen Konzertpodien zu hören. Neben der Aufführung der großen Cellokonzerte hat Daniel Müller-Schott eine große Leidenschaft für die Entdeckung unbekannter Werke und die Erweiterung des Cello-Repertoires, etwa durch eigene Bearbeitungen sowie die Zusammenarbeit mit Komponisten.
Classicpoint.ch: Sie haben bereits mit 15 Jahren den ersten Preis beim Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau gewonnen. War da nicht die Gefahr, den Boden unter den Füssen zu verlieren und abzuheben? Wie war die Zeit unmittelbar nach diesem Gewinn?
Ich hatte damals das Glück, ein sehr gutes und geerdetes Umfeld zu haben. Meine Eltern und Lehrer haben unmittelbar nach dem Gewinn des Preises darauf geachtet, dass ich genügend Zeit habe, in das Leben eines Musikers hineinzuwachsen, auch um über die Jahre feststellen zu können: Wie komme ich zurecht mit dem Leben als Musiker? Denn das bedeutet ja nicht nur, sein Instrument zu spielen, sondern es betrifft ja das ganze Leben: Wie komme ich etwa mit den Reisen zurecht oder auch mit der häufigen Situation, neue Werke in schnellem Wechsel spielen zu müssen. Und kann ich mich dabei auch in meiner Persönlichkeit weiter frei entwickeln? Retrospektiv kann ich sagen, dass genau diese kontinuierliche und vielleicht auch etwas ruhigere Entwicklung nicht zuletzt auch meinem Reifeprozess sehr gut getan hat. Ich konnte mich als Musiker langsam entwickeln.
Sie sind musikalischer Partner von Anne-Sophie Mutter. Sie ist seit Ihrer Kindheit Ihre Mentorin. Wie kam es zu diesem Kontakt?
Ich war der erste Stipendiat ihrer Stiftung, eine sehr prägende Zeit. Schon damals habe ich die Anforderungen an einen professionellen Musiker kennengelernt, welche Verantwortung man für die Musik trägt, welche Leidenschaft es braucht, um den Weg des Solisten einschlagen zu können. Bereits im Jahr 2000 lud mich Anne-Sophie Mutter zu einem Debütkonzert in die New Yorker Carnegie Hall ein. Über die Jahre hat sich eine wunderbare musikalische Partnerschaft entwickelt, im Brahms Doppelkonzert und als Triopartner, beispielsweise beim Mozart-Projekt oder kürzlich auf einer Tournee durch Spanien mit den Trios von Beethoven und Tschaikowski.
André Previn und Peter Ruzicka haben für Sie ein Cellokonzert komponiert. Auch Sebastian Currier und Olli Mustonen haben Ihnen Werke gewidmet. Alle Werke haben Sie mit den Komponisten oder unter der Leitung der Komponisten uraufgeführt. Haben Sie bei der Entstehung der Werke Einfluss gehabt?
Bei beiden Komponisten gibt es eine Vorgeschichte. Mit Peter Ruzicka konnte ich zuvor als Dirigent arbeiten, auch das Musizieren mit André Previn im Trio und mit Orchester hat dazu geführt, dass er ein Konzert für mich schreiben wollte. Diesen Austausch gab es dann auch weiter bei der Entstehung der Werke. Das war besonders inspirierend und für diese Begegnungen bin ich sehr dankbar. Auf die nächsten Werke von Olli Mustonen und Sebastian Currier freue ich mich besonders.
Sie sind weltweit mit Konzerten unterwegs. An welchen verrückten Orten haben Sie schon geübt, weil es nicht anders möglich war?
Mittlerweile habe ich an vielen Flughäfen weltweit sozusagen private Konzerte für die Fluggäste gegeben. Lange Wartezeiten am Flughafen sind ja oft unvermeidbar. Dann packe ich meistens mein Cello aus, um zu üben. Dadurch entwickeln sich oft Gespräche mit den wartenden Reisenden. Kurios war meine „Strandung“ in einer Turnhalle in Frankreich im Frühjahr. Es waren über Stunden so immense Mengen Schnee gefallen, dass die Straßen gesperrt waren und ich in einer Turnhalle auf die Weiterfahrt warten musste. Dort hatte ich dann sehr viel Zeit zum Cello spielen...
Beim Projekt Rhapsody in School gehen Sie in Schulen und versuchen den, Kindern die klassische Musik näher zu bringen. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Leider wird ja der Musikunterricht immer mehr an den Rand des Stundenplans in den Schulen gedrängt. Ich war selbst an einem naturwissenschaftlichen Gymnasium, und habe dort ernüchternd gemerkt, welchen Stellenwert der Musikunterricht hat und wie wenig vom kulturellen Schatz unserer klassischen Komponisten man vermittelt bekommt. Als mir dann der Pianist Lars Vogt von seiner Idee zu diesem Projekt erzählte, war ich begeistert von der Idee, in Schulen zu gehen und den Kindern unmittelbar zu zeigen, warum wir Musiker solch eine Leidenschaft für die klassischen Komponisten empfinden. Denn gerade in der klassischen Musik ist es so wichtig, schon früh mit der Vielfalt dieser Musik in Berührung zu kommen. Ich bin immer wieder überrascht, wie aufgeschlossen und dankbar die Kinder dafür sind, wenn ich ihnen etwas vorspiele und von meinen Erfahrungen und meiner Liebe zur Musik berichte. Gerade war ich in Bilbao an einer Deutschen Schule.
Zurzeit gibt es sehr viele junge Cellisten und Cellistinnen, welche einen großen Bekanntheitsgrad genießen. Spüren Sie diese Konkurrenz oder gibt es genügend Auftrittsmöglichkeiten für alle?
Ich freue mich, meine Kollegen zu sehen und empfinde es als sehr positiv, wenn wir alle dazu beitragen, das Cello als Soloinstrument einer noch größeren Weltöffentlichkeit vorzustellen. Auch in früheren Generationen gab es schon eine Vielfalt von fabelhaften Cello-Solisten, denken Sie an Rostropowitsch, Fournier, Tortelier, Gendron, du Pré etc. Diese Tradition sollte Verpflichtung und Ansporn sein und weiter fortgeführt werden.
Sie haben in Ihrer Jugend auch mit Freunden Graffitis gesprayt. Gab es Momente, in denen Sie sich vielleicht sogar etwas geschämt haben, Cello zu spielen, weil es uncool war?
Nein, solche Momente gab es nie. Nach dem Gewinn des Tschaikowsky-Wettbewerbs habe ich mich entschieden, Musiker zu werden. Aber ich habe nie aufgehört, meine Leidenschaft für Fußball, Literatur oder Kunst aufzugeben. Sobald ich in München bin, organisiere ich Fußballspiele mit meinen Freunden. Diese privaten Aktivitäten ganz anderer Art, meine Familie, all diese Rückzugsorte braucht man als Künstler, um wieder Kraft für die Musik zu schöpfen.
Sie haben unter anderem bei Heinrich Schiff, Steven Isserlis und Mstislaw Rostropovitsch studiert. Wie haben Sie diese drei grossen Cellisten erlebt?
Durch 'Slava' und meinen langjährigen Lehrer Steven Isserlis bin ich beispielsweise auf Brittens Cello Symphony aufmerksam geworden. Von Slavas Erzählungen schöpfe ich noch heute, wann immer ich diese Musik spiele. Seiner großen Liebe zu Brittens Musik und Brittens warmherziger Persönlichkeit ist es zu danken, dass wir heute die herrliche Cello-Sonate, die Solo-Suiten und die dramatisch-düstere Cello Symphony erleben können. Mit Heinrich Schiff habe ich an Bach-Suiten und den Konzerten der Moderne arbeiten können, wie Lutoslawski und Henri Dutilleux. Und Steven Isserlis hat mit seinem Enthusiasmus, beispielsweise für Robert Schumann, das romantische Feuer in mir geweckt.
Sie versuchen, zum Teil auch Grenzen zu sprengen. Mit einem Schostakowitsch-Konzert sind Sie z.B. vor ein paar tausend Heavy-Metal-Fans auf dem Roskilde-Festival in Dänemark aufgetreten. Ein anderer Veranstalter engagierte Sie als »Vorgruppe« für Metallica. Dort haben Sie dann die d-Moll-Suite von Bach gespielt. Wie war die Reaktion des Publikums?
Bei beiden Konzerten reagierte das Publikum zunächst erstaunt und natürlich war der Geräuschpegel anfangs sehr hoch. Aber sehr schnell haben sich die Leute anstecken lassen, von der Intensität der Musik. Entscheidend ist, dass man die musikalische Kraft vermittelt, die Konzentration und Schönheit, dann ist der Rahmen eigentlich fast schon egal. Wobei Open-Air-Konzerte natürlich akustisch nicht zu vergleichen sind mit den fabelhaften Konzertsälen, die wir heute vorfinden. Nicht umsonst sind die Säle wie z.B. in Amsterdam, Berlin, Wien und New York die schönsten der Welt. In diesen Räumen kann man beim Musizieren wirklich 'schweben'.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.ch | 3.9.2013
Bild: Uwe Arens
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