Anne-Sophie Mutter im Interview
«Ich bin gegen Dogma in der Kunst.»
Anne-Sophie Mutter gehört seit 35 Jahren zu den großen Geigen-Virtuosen unserer Zeit. Die im Badischen Rheinfelden geborene Violinistin begann ihre internationale Karriere 1976 bei den Festspielen in Luzern. Ein Jahr danach trat sie als Solistin bei den Salzburger Pfingstkonzerten unter der Leitung von Herbert von Karajan auf. Seitdem konzertiert Anne-Sophie Mutter weltweit in allen bedeutenden Musikzentren.
Classicpoint.ch: Was sind Ihre frühesten Erinnerungen an das Geigenspiel?
Der erste Eindruck wurde mir durch eine LP-Aufnahme von Menuhins Beethoven-Konzert vermittelt. Meine frühesten Erinnerung an das aktive Geigenspiel ist tatsächlich meine erste Unterrichtsstunde, die irgendwann im Jahr 1968/69 gewesen sein muss. Es fühlte sich spontan symbiotisch an, als ob die Geige schon immer auf meiner Schulter gelegen hätte.
Sie haben ursprünglich am Konservatorium Winterthur in der Schweiz studiert und den Start zu Ihrer internationalen Karriere bei den Festwochen in Luzern erlebt. Was haben Sie für Erinnerungen an Ihre Ausbildungszeit und wie ist Ihre Beziehung heute zur Schweiz?
Meine Beziehung zur Schweiz könnte nicht intensiver sein, habe ich doch dort von meinem 9. Lebensjahr an am Konservatorium in Winterthur bei der wunderbaren Aida Stucki studieren dürfen. Im Übrigen ist Alemannisch – meine Muttersprache – dem Schwyzerdütsch sehr verwandt. Darüber hinaus hat natürlich mein Debut 1976 bei den damals Internationalen Musikfestwochen in Luzern einen großen Anteil an meiner internationalen Karriere.
Ich kehre immer wieder gerne in die Schweiz zurück. Ganz besonders aber zu den Festwochen in Luzern.
Sie haben mit 13 Jahren bereits unter der Leitung von Herbert von Karajan debütiert. Gab es Momente in Ihrer Jugendzeit, in denen Sie den Erwartungsdruck und die Bekanntheit gerne gegen eine unbeschwerte Jugend eingetauscht hätten?
Ich hatte weder während meiner Teenagerzeit noch im Rückblick den Eindruck, eine sorgenvolle Jugend gelebt zu haben. Ich ging völlig in der Musik auf und mit Herbert von Karajan und anderen großartigen Musikern konzertieren zu dürfen, war mein Ein und Alles und somit der zentrale Mittelpunkt meiner Lehr- und Wanderjahre.
Sie haben zur Förderung des musikalischen Spitzennachwuchses eine eigene Stiftung gegründet. Trauen sie Ihren Stipendiaten allen eine Weltkarriere zu? Was ist letztlich ausschlaggebend für den Durchbruch?
In der Förderung des musikalischen Spitzennachwuchses geht es mir nicht per se um eine Weltkarriere. Abgesehen von der leidenschaftlichen Suche nach einem Talent, das über unstillbaren Wissensdurst und brennende eigene Ansichten über die musikalische Literatur verfügt, liegt mein Hauptaugenmerk darin, jungen Musikern die humanistische Seite des Musikerlebens nahezubringen, sie anzuregen, mit und durch Musik Brücken zu bauen und sich sozial aktiv zu betätigen, beispielsweise durch Benefizkonzerte.
Sie spielen selbst sehr oft auf Benefizkonzerten für Institutionen, welche sich für die medizinischen und sozialen Probleme unserer Zeit kümmern. Welche Projekte/Institutionen liegen Ihnen am meisten am Herzen?
Alle Projekte, die ich mit Herz, Seele und Konzerten unterstützt habe, liegen mir besonders am Herzen. Es sind aber im Besonderen immer wieder die Belange von Kindern, alten Menschen und Menschen mit Behinderungen, die mich anrühren, beunruhigen und zur Aktion schreiten lassen.
Entscheidungsträgerin in Ihrer Stiftung ist neben Lynn Harrell Aida Stucki, Ihre langjährige Lehrerin. Wie stark hat Aida Stucki sie geprägt und was schätzen Sie an Ihr besonders?
An Aida Stucki gibt es nichts, was ich nicht schätze. Sie ist eine außergewöhnliche Frau, Musikerin, Mutter und Pädagogin. Ich bin von ihr früh und nachhaltigst geprägt worden. Besonders hervorzuheben ist ihre großartige Fähigkeit, Talente individuell und mit bewundernswert geduldiger Strenge über einen langen Zeitraum führen und schließlich zur vollen Blüte zu bringen.
Sie haben 2006 anlässlich von Mozarts 250. Geburtstag umfassende Aufnahmen von Mozarts Werken mit Violine eingespielt. Welche Bedeutung hat für Sie der Komponist Mozart im Vergleich zu den anderen ganz grossen Komponisten?
Mozart mit seinen vielen wunderbaren Kammermusik-Werken wie auch Violinkonzerten nimmt eine Sonderstellung im Repertoire eines jeden Geigers ein. Nicht nur wegen der ungewöhnlichen Vielfältigkeit und Masse der Werke, sondern eben auch ob ihrer singulären Reinheit des Ausdrucks und Genialität der musikalischen Entwicklung.
Wie stehen Sie zur authentischen oder historischen Aufführungspraxis?
Ich bin gegen Dogma in der Kunst. Eine authentische Aufführungspraxis kann es nicht geben, wohl aber den Versuch, dem damaligen Klang- und Phrasierungsbild nahe zu kommen und somit ein ganz wichtiger Teil der Analyse und der Interpretationsfindung in der heutigen Zeit.
Sie stehen seit 35 Jahren auf der Bühne. Welches waren die wichtigsten Impulse oder Ereignisse, welche Ihr Gegenspiel in dieser Zeit beeinflusst haben?
Kein Mensch lebt im Vakuum, kein Künstler sollte in einem leben. So haben mich immer wieder persönliche Erlebnisse beim Geigenspiel nachhaltig beeinflusst, bereichert, teilweise auch erschüttert wie beispielsweise der Verlust meines Mannes, dem Vater meiner Kinder, das wunderbare Geschenk der Geburt unserer zwei Kinder.
Sie setzen sich stark auch mit zeitgenössischer Musik auseinander. Mehrere Komponisten haben für Sie Werke geschrieben, darunter Krzysztof Penderecki, Wolfgang Rihm und Sofia Gubaidulina. Wann haben Sie sich erstmals so richtig mit zeitgenössischer Musik beschäftigt?
Zeitgenössische Musik ist ein weiterer wichtiger Impulsgeber wie auch die bildende Kunst und einfach das Leben mit seinen vielfältigen und ganz wunderbaren Momenten. Zeitgenössische Musik beschäftigt mich seit der Uraufführung von Witold Lutoslawskis „Chain II“ am 31. Januar 1986. Und die letzten Wochen und Monate waren erfüllt vom Studium neuer Werke Wolfgang Rihms und Pendereckis sowie eines Violinkonzerts von Sebastian Currier, das im Sommer seine Uraufführung in New York erleben wird. Es ist ein aufregender Prozess, ein frustrierender, ein Kräfte zehrender und eine zutiefst erfüllende Auseinandersetzung mit einer neuen Tonsprache und endlich auch einem Gegenüber – dem lebenden Komponisten, der Frage und Antwort steht.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie mit 45 Jahren aufhören möchten. Zum Glück hat sich das nicht bewahrheitet. Haben Sie vor, demnächst von der Bühne abzutreten?
Zu dieser Frage gibt es eigentlich nur eine Antwort. Es war John Lennon, der sagte „Life is what happens to you while you're busy making other plans” und so wird auch meine letzte Stunde auf der Bühne irgendwann schlagen.
Was sind Ihre Pläne für die Zukunft, gibt es Projekte, die Sie noch unbedingt realisieren möchten?
Pläne für die Zukunft gibt es viele, aber ich vertraue auf Gott und hoffe somit, dass das wichtigste Projekt, mein größter Wunsch in Erfüllung geht, nämlich glückliche und gesunde Kinder ihrer Berufung entgegenwachsen zu sehen.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.ch | 24.04.2011
© Foto: Harald Hoffmann / DG