Alexander Melnikov im Interview
«Er war jemand, der mir sehr lieb war.»
Alexander Melnikov absolvierte sein Studium am Moskauer Konservatorium bei Lev Naumov.
Zu seinen musikalisch prägendsten Erlebnissen zählen die Begegnungen mit Svjatoslav Richter, der ihn regelmäßig zu seinen Festivals in Russland und Frankreich einlud. Er ist Preisträger bedeutender Wettbewerbe wie dem Internationalen Robert-Schumann-Wettbewerb (1989) und dem Concours Musical Reine Elisabeth in Brüssel (1991).
Seine musikalischen und programmatischen Entscheidungen sind oft ungewöhnlich.
Sehr früh begann Alexander Melnikov, sich mit der historischen Aufführungspraxis auseinander zu setzen. Wesentliche Impulse erhielt er von Andreas Staier und von Alexei Lubimov, mit dem er in zahlreichen Projekten zusammengearbeitet hat. Regelmäßig steht er mit namhaften Ensembles für Alte Musik wie dem Freiburger Barockorchester, Musica Aeterna, der Akademie für Alte Musik Berlin oder dem Orchestre des Champs-Élysées auf der Bühne.
Sie haben zuerst Horn gelernt und haben sich erst später für das Klavier begeistert. Warum haben Sie sich umentschieden?
Ich hörte den Klang des Horns zum ersten Mal kurz nach meiner Empfängnis – etwa sieben Monate vor meiner Geburt. Da ich damals ein begeisterter Anhänger des Siegmund-Freud-Konzepts war, war ich sofort von der runden Form des Instruments angetan, die alle möglichen Konnotationen hervorrief – einige davon zu erwähnen, wäre in diesem Interview fehl am Platz. Der zweite entscheidende Faktor war im Alter von 3 Jahren, als ich einen Briefträger sah. In der Sowjetunion war es der Post verboten, ein Horn auf ihrem Logo anzubringen – Freud kam mit der kommunistischen Ideologie nicht gut zurecht –, so dass jeder Postbote und jede Postbotin jederzeit ihre eigenen Hörner bei sich tragen musste. Natürlich wurden die Hörner vor allem als Gefäße für Wodka benutzt, aber manchmal tranken sie stattdessen die brechende Flüssigkeit – man MUSSTE einfach hören, wie wunderbar es klang – die Zeiten sind tatsächlich vorbei.
Zu guter Letzt war es immer mein Traum, das wunderbare 23. Hornkonzert von Beethoven und vor allem das fantastische Hornsolo in Debussys "Moldawischer Ouvertüre" zu spielen.
Sie gelten als virtuoser Schostakovitsch-Interpret. Was bedeutet Ihnen diese Musik und dieser Komponist?
Es ist völlig unmöglich, dies in einer Weise zu beantworten, die Sinn machen würde... Ich habe mich lange Zeit mit seiner Musik beschäftigt, und mein Standpunkt hat sich mehrmals geändert, aber immer in Richtung einer größeren Wertschätzung. Er war eine Figur, über die man sich immer streiten wird. Zu viele musikalische, soziale, menschliche und philosophische Schichten greifen ineinander und widersprechen sich manchmal. Ich weiß nur, dass er jemand war, der mir sehr lieb war, und ein absolut unverzichtbarer Teil meines Wesens. Den Rest – das kann ich außerhalb des Spielens oder Hörens der eigentlichen Musik nicht sagen.
Sie haben sich sehr früh mit der historischen Aufführungspraxis auseinandergesetzt. Was fasziniert Sie davon?
Es ist wahr, ich war schon sehr lange von den alten Instrumenten beeinflusst und fasziniert. Ich bin keineswegs ein Spezialist für Alte Musik – aber ich beschäftige mich recht intensiv mit den alten Klavieren, und ich spiele sie natürlich auch. Es hat mich auch dazu gebracht, die Phänomene des "modernen" Klaviers in seinem historischen Kontext zu sehen – das verändert die Dinge...
Sie haben dieses Jahr eine CD mit Isabelle Faust aufgenommen und lassen Mozarts "Sonaten für Klavier mit Violinbegleitung" wiederaufleben. Können Sie uns dazu etwas sagen?
Nun, das war schon CD Nummer 3... Was soll ich dazu sagen? Dass diese Musik so gut ist, wie Mozarts Musik geht, für mich oft fast noch faszinierender als die Klavier-Solosonaten, und dass ich das unglaubliche Glück habe, sie mit Isabelle zu spielen. Es ist auch eines der schwierigsten Projekte, die ich je gemacht habe – auch weil es zu viele Gelegenheiten gibt, bei denen man die Verzierungs- und Improvisationsfragen nicht mehr ignorieren oder vermeiden kann, und was immer man in dieser Musik macht – man zerstört die Perfektion. Dies ist keine hypothetische oder spirituelle Bemerkung, sondern rein praktisch. Versuchen Sie, sich ein Gemälde von Rembrandt vorzustellen, bei dem er einige Teile leer lassen würde, damit wir es vollenden können – viel Glück.
Zurzeit sind Sie an Ihrem Projekt "Viele Klaviere". Können Sie uns davon erzählen?
Nun, ich habe zwei verschiedene Versionen dieses Programms. Die eine – auf der CD aufgenommen – besteht aus vier hochvirtuosen Werken, alle symbolisch für eine gewisse Zeit, gespielt auf einem zeitgenössischen Instrument. Die Idee dabei ist, sie in den klanglichen Kontext zu stellen, der eher bereit ist, bestimmte Aspekte dieser Musik, die oft verloren geht, hervorzuheben.
Eine andere Version ist die Ausarbeitung zum Genre "Fantasia". Hier soll gezeigt werden, wie allmählich die Entwicklung der musikalischen Sprache verlief und wie eng sie mit der Entwicklung des Mediums – des Instruments – verbunden war.
Wie haben Sie die aktuelle COVID-Zeit erlebt?
Genau wie bei der Sterblichkeitsrate, beantworten wir diese Fragen erst, wenn die Pandemie vorüber ist. Leider ist das Ende vorerst nicht am Horizont. Was sicher ist – die Dinge ändern sich. Wenn es uns gelingt, einige dieser Veränderungen zum Besseren zu wenden, werden wir sehr glücklich sein. Aber ich bin hier nicht allzu optimistisch.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Das ist sehr privat. Aber ich würde mich sehr freuen, wenn sich unsere Zivilisation ein bisschen besser entwickeln würde. Aber auch hier bin ich nicht allzu optimistisch.
Welches war Ihr lustigstes Erlebnis als Musiker?
Vor vielen Jahren beobachtete ich alleine in den 8 Takten des zweiten Satzes der Ravel-Violinsonate "Blues", wie viele Dinge schief gehen können.
Haben Sie manchmal auch Angst als Musiker?
Ja, sehr oft vor Konzerten. Aber nicht immer.
Sie haben eine zweite grosse Leidenschaft. Sie sind (Hobby-)Pilot. Wie ist es dazu gekommen und wo/warum fliegen Sie denn so?
Nun, streng genommen ist es kein Hobby mehr. Aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich nicht erfolgreich diversifiziert habe – die Nachfrage nach Piloten ist jetzt gleich der Nachfrage nach ausführenden Musikern – mehr oder weniger Null.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 22.10.2020
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