Albrecht Mayer im Interview
«Die Dunkelziffer ist riesig.»
Albrecht Mayer zählt als Solist, Kammermusiker und Solo-Oboist der Berliner Philharmoniker zu den international gefragtesten Oboisten der Gegenwart.
Classicpoint.ch: Warum und wann haben Sie sich für die Oboe entschieden?
In Bamberg, wo ich aufgewachsen bin, gab es einen akuten Mangel an Oboisten im Jugendorchester. Mein Vater war Arzt und wurde angefragt, ob er nicht jemanden kennen würde. Er organisierte zwei Oboen und brachte sie nach Hause. Dort legte er sie auf den Küchentisch und verkündete meinem Bruder und mir, dass wir dieses Instrument nun lernen würden. So haben wir angefangen, das Instrument zu lernen und zu lieben. Mein Bruder spielt allerdings mittlerweile nicht mehr.
Sie haben in einem Interview mal gesagt, dass das Wort Begabung extrem überschätzt wird und nur vielleicht zu fünf Prozent zählt. Was ist Ihrer Meinung nach der Schlüssel zur Weltkarriere?
Eine Weltkarriere ist grundsätzlich nicht planbar. Aber in der Tat hilft eine grosse Begabung nichts. Ich kenne nur sehr wenige hochtalentierte Musiker wie z.B. Lang Lang, Sarah Chang oder Evgeny Kissin. Es gibt jedoch viele durchschnittlich begabte Musiker, die es sehr sehr weit gebracht haben. Letztlich ist entscheidend, dass ein Musiker nicht aufgibt, sich immer weiterentwickeln möchte, nie stillsteht, eine Leidenschaft entwickelt und auch bereit ist, sich zu quälen.
Anfang der 90-Jahre sind Sie zu den Berliner Philharmonikern gewechselt. Wie haben Sie die ersten Jahre erlebt?
Das war ja noch das Karajan-Orchester mit den alteingesessenen Kollegen. Ich erinnere mich, dass es für mich sehr schwer war, mich in dieses traditionsreiche Gefüge einzuordnen. Es gab überhaupt keinen Spielraum für Diskussionen. Man hatte zu tun, was der Maestro und die erfahrenen Kollegen vorgaben.
Wie erleben Sie das Orchester heute?
Es ist eine gute Stimmung im Orchester, aber es ist nicht einfach, denn Demokratie im Orchester und allgemein in der Musik ist leider nicht möglich. Es setzen sich immer die stärkeren mit Ihren Ideen und Vorstellungen durch. Ich erinnere mich an die Einstudierung eines Bläseroktetts mit wunderbaren Künstler wie z.B. Sabine Meyer. Wir hatten die Idee, dass jeder all seine Ideen zum Stück darlegen sollte und wir dann möglichst alles zusammenbringen wollten. Wir sind daran kläglich gescheitert. Wenn zu viele Vorstellungen zusammenkommen, ist der kleinste gemeinsame Nenner phantasielos und langweilig.
Claudio Abbado und Simon Rattle haben einen ganz anderen Führungsstil als damals Karajan. Gibt es heute überhaupt noch berühmte Dirigenten mit autoritärem Auftreten?
Natürlich, z.B. Barenboim oder Thielemann. Allerdings werden es immer weniger.
Verbündet sich ein Orchester nicht gegen den Dirigenten, wenn der zu autoritär wird?
Ja, das kann durchaus vorkommen. Junge Dirigenten können sich deswegen kein solches Auftreten leisten. Arrivierte, etablierte Dirigenten mit Weltruhm allerdings ziehen dann einfach weiter und kommen nicht mehr. Deshalb funktioniert es bei denen auch viel besser.
Von welchem verstorbenen Komponisten wünschten Sie sich am meisten ein Werk für Solooboe und Orchester?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Es gibt ja ein Solokonzert von Beethoven, das verschollen ist. Dieses Konzert würde mich sehr interessieren, oder dann auch ein Werk von Brahms, Schumann oder Tschaikovsky.
Wie ist es mit zeitgenössischer Musik? Machen Sie sich stark für aktuelle Werke mit der Oboe als Soloinstrument?
Ja, absolut! Ich versuche Komponisten zu motivieren, neue Werke zu schreiben. Heinz Holliger hat für die Oboe natürlich schon unheimlich viel getan. Ich spiele gerne zeitgenössische Werke und bin immer für Neukompositionen zu haben. Ich habe z.B. eben ein Konzert von Peter Ruzicka aufgeführt und werde am kommenden 11. August in Thun das Concertino vom schweizerischen Komponisten Gotthard Odermatt spielen.
Im Oktober 2011 gründeten Sie die Albrecht-Mayer-Stiftung, die die Forschung und Therapieentwicklung für Netzhaut- und Sehnerverkrankungen unterstützt. Wie ist es dazu gekommen?
Ein Freund von mir, Franz Badura (Trompeter), ist nahezu blind und kommt regelmässig als Zuhörer an meine Konzerte. Als er mich einmal auf seine Krankheit angesprochen hat und angefragt hat, ob man gemeinsam etwas unternehmen könnte, hat sich herausgestellt, dass auch in meiner Familie diese Krankheit aufgetaucht ist. Die Dunkelziffer ist riesig. Viele Leute wissen gar nicht, dass sie die Veranlagung dazu haben. Mit der Stiftung unterstützen wir die Forschung und Therapieentwicklung.
Was macht Albrecht Mayer in seiner Freizeit, wenn er nicht Oboe spielt?
Ich habe eine Fahrradsammlung und fahre leidenschaftlich Rennrad. Sehr gerne tauche ich auch, soweit es meine Ohren zulassen. Eben bin ich aus dem Tauch-Urlaub aus Madeira zurückgekommen.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.ch | 8.8.2013
Bild: Decca / Mat Hennek