SoRyang im Interview
« Man muss das Leben verstehen, um mit der Musik etwas sagen zu können. »
SoRyang begann das Klavierspiel als fünfjähriges Kind und wurde bereits mit elf Jahren auf Landesebene vielfach prämiert. Sie verließ im Alter von 16 Jahren ihre Heimatstadt Seoul / Korea und absolvierte ein Klavierstudium in der Meisterklasse bei Professor Detlef Kraus an der FOLKWANG-Musikhochschule in Essen mit Abschluss als Konzertpianistin. Sie erhielt den Ersten Folkwang-Preis und den ersten Sonderpreis beim Internationalen Brahms-Wettbewerb in Hamburg. Anschließend ging SoRyang zum Aufbaustudium nach Wien, wo sie an der Universität für Musik und darstellende Kunst als Magister abschloss. Seitdem spielt SoRyang weltweit Klavier-Recitals, große Beachtung fanden u.a. ihre Vorträge in der Carnegie Hall in New York, im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins und im Wiener Konzerthaus. Als bekannte Mozart-Interpretin präsentiert sie regelmäßig Mozart-Klavierwerke unter anderem im Schloss Mirabell in Salzburg, im Mozarthaus Vienna. Darüber hinaus spielte sie Recitals unter anderem in New York, Los Angeles, Dallas, Hong Kong, Shanghai, Barcelona, London, Rom, Hamburg, Wien, Salzburg, Dresden und Berlin.
Classicpoint.net: Als Sie mit 16 Jahren von Korea nach Essen gekommen sind um zu studieren, hatten Sie kein Heimweh?
Als Teenager mit einer musikalischen Begabung in Deutschland studieren zu dürfen, war für mich eine große Ehre. Ich wollte niemanden enttäuschen und habe all meine Kraft und Energie in das Studium gesteckt. Die Freude darüber, endlich wahrhaftige Musik zu lernen, hat mich glücklich gemacht, so dass das „alte“ Leben in mir keinen Platz mehr fand.
Dagegen waren viele andere Koreanerinnen vom Studium in Deutschland nicht begeistert. Sie hatten wirklich Heimweh und wollten schnell zurück in die Heimat.
Sie kommen aus Korea und haben in Deutschland studiert und wohnen nun in Wien. Wo sehen Sie die größten kulturellen Unterschiede?
In Korea ging es beim Üben immer um Korrektheit und Schnelligkeit. Wenn es um die Musik ging, hat man andere weltberühmte PianistInnen imitiert. Aber in Deutschland lernte ich, wie man die Musik sprechen lässt. Ein lustiges Beispiel über kulturelle Unterschiede ist z.B., dass man die vielen Noten in der Basslage nicht laut spielen dürfe. Sonst klinge es, als ob Kartoffeln die Kellertreppe herunterrollen würden. Aber in Asien haben wir weder solche Kellertreppen, noch lagern wir Kartoffeln zu Hause. So war diese Vorstellung allein etwas ganz Neues für mich. Mein Professor schätzte meine Begabung und unterstützte mich u.a. dadurch, dass er mir sehr früh zu einigen tollen Konzerten verhalf.
Zu der Zeit gab es für mich nur die Musikwelt und ich übte wie eine Besessene. Als ich dann nach Wien kam, lernte ich das gemütliche Leben kennen. Neben dem Studium war ich oft mit österreichischen FreundInnen strawanzen. Wenn ich sage, dass ich viele verschiedene Bezirke zu Fuß erkundet, Heurigen in der Natur besucht und viele alte Filme in uralten Kinos angeschaut habe, würde man sich vielleicht fragen, warum ich nicht mehr, wie zuvor, den ganzen Tag brav Klavier geübt habe. Aber gerade das macht Musik auch aus. Wenn man das Leben nicht versteht, was habe ich dem Publikum dann durch die Musik zu erzählen? Es ist nicht mein Ziel, meinen ZuhörerInnen durch brillantes Klavierspiel zu demonstrieren, was ich alles kann und was sie nicht können. Ich möchte sie ansprechen, mir mit ihnen einig sein und eine Verbindung aufbauen.
Welche Umstellung oder Anpassung war für Sie am schwierigsten?
Ich bin in einem sehr guten Umfeld – wie eine Prinzessin – aufgewachsen. Aber in Europa behandelten mich viele Menschen eher herablassend, weil ich asiatisch aussehe. Damit kann ich heute umgehen.
Können Sie uns ein bisschen über die Erziehung und die Rolle der Frau in Korea erzählen?
Die Erziehung ist sehr hart, sie ist rein auf Erfolg ausgerichtet und die Kinder wachsen in einer einfühllosen Gesellschaft auf. Es ist ein permanenter Wettkampf darum, wer mehr erreicht hat. Das Klavierspiel ist oft ein Mittel zum Zweck. Fast alle Freundinnen, die Klavier studiert haben, gaben das Spiel auf, sobald sie an einer Uni eine Stelle bekamen oder gut geheiratet haben. Das ist sehr schade. In Korea ist man ein kleiner Teil einer stark strukturierten Gesellschaft. Daher bleibt kaum Raum für individuelle künstlerische Freiheit übrig.
Sehen Sie sich auch in einer Vorbildrolle für koreanische Frauen? Verfolgen Leute in Korea Ihren Werdegang?
In der Tat glauben die Schulkameradinnen meines Musikgymnasiums, dass ich im Paradies ihren Traum verwirklichen würde. Aber sie wollen nicht wieder so viel Klavier üben. Sie hassten es. Ich dagegen liebe es, Klavier zu üben und es ist ein wichtiger und fester Bestandteil meines Lebens.
Geben Sie auch Masterclasses in Ihrer Heimat, oder haben Sie vor, irgendwann zurück in Ihre Heimat zu ziehen?
Bis jetzt habe ich mich wenig darum bemüht, Kontakte zu Korea zu pflegen, dabei gibt es so viele herzliche Menschen. Aber in Korea zu leben ist für mich undenkbar. Inzwischen habe ich mich in eine andere Richtung als die KoreanerInnen entwickelt. Ich bin jetzt mehr Österreicherin bzw. Europäerin. Somit würde ich mich sicher einen riesigen Schritt zurückversetzt fühlen. Bei so viel erzwungener Zurückhaltung und vielen oft unsinnigen Verpflichtungen würde meine Seele sehr bald verkümmern.
Sie komponieren selbst. Wie definieren Sie Ihren Kompositionsstil?
Ich würde sehr gern weiter komponieren, aber das Klavierspiel steht im Vordergrund. Eine koreanische Weisheit lehrt uns, man solle besser einen Brunnen tief graben, als viele Brunnen zu seicht.
Sie haben klassische Klaviermusik auf historischen Plätzen großer europäischer Städte einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Wie haben Sie diese Konzerte erlebt?
Die Idee, klassische Klaviermusik mit einem echten Klavier auf der Straße zu spielen, war mein Baby. Zuvor gab es so etwas nirgendwo. Keine professionellen PianistInnen wären auf die Idee gekommen, so etwas zu tun, weil es einfach „unter ihrer Würde“ lag. Auch gab es vor mir in Wien keine weibliche Straßenmusikerin, außer einer sehr alten Saxophonistin, die hier ziemlich bekannt war. Aber ich habe meine Idee umgesetzt, unabhängig davon, was die anderen Menschen darüber dachten. Etwas Neues zu kreieren und Grenzen zu überschreiten, das machte mich sehr stolz. Ich liebte diese Arbeit. Abends wurde die Fußgängerzone in einen Konzertsaal verwandelt, wo eine große Menschenmenge oft stundenlang ruhig zuhörte. Es war für mich – wie für die ZuhörerInnen – ein einzigartiges Erlebnis.
Dadurch habe ich auch meine Liebe gefunden. Mein Freund unterstützt mich, wo er nur kann. Diese Aufgabe nimmt er so ernst, dass er sie nun zu seinem zusätzlichen Beruf gemacht hat. Es ist das berührendteste Gefühl, wenn ein Mensch an Dich glaubt.
Haben Sie noch andere Ideen, die Sie gerne mal umsetzen möchten?
Nein, derweil nicht. Ich habe nur einen großen Wunsch, was die Musik betrifft. Ich möchte gerne das Klavier zum Singen bringen, so wie Maria Callas gesungen hat. Wunderschöne Klänge mit starker Emotion.
Der ehemalige Geschäftsführer von PREISER RECORDS hat Sie als „ungewöhnlichste Pianistin Europas“ bezeichnet. Sehen Sie sich auch so?
Wie bereits erwähnt, habe ich die klassische Welt etwas verändert, indem ich auf öffentlichen Plätzen kostenlos für die Menschen, unabhängig von Klassenunterschieden, gespielt habe. Seitdem spielen auch berühmte PianistInnen auf der Straße, was früher unmöglich erschien.
Leider bleibt mir heute wegen der intensiven Vorbereitung für die Konzert-Tourneen keine Zeit mehr, dem weiter nachzugehen. Auf der Straße spielte ich ganz andere Werke als im Konzertsaal, aber die Stücke müssen natürlich auch gut vorbereitet sein. Beim Spaziergang vermisse ich Klaviermusik auf der Straße. Vielen WienerInnen geht es wohl wie mir, wie ich den zahlreichen Nachrichten entnehmen kann, die mich erreichen.
Was interessiert Sie außerhalb der Musik?
Menschen um mich herum. Sie spielen in meinem Leben außerhalb der Musik die wichtigste Rolle.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 2.9.2019