Sebastian Klinger im Interview
« Das Niveau in der Breite war noch nie so hoch wie heutzutage. »
In München geboren und in Spanien aufgewachsen, erhielt Sebastian Klinger mit sechs Jahren seinen ersten Cellounterricht. Später studierte er bei Heinrich Schiff in Salzburg und Wien sowie bei Boris Pergamenschikow in Berlin. Nach zahlreichen nationalen und internationalen Auszeichnungen bei verschiedenen Wettbewerben und Stiftungen gewann er 2001 den Deutschen Musikwettbewerb. Es folgten Debüts bei den wichtigsten deutschen Festivals in Schleswig-Holstein, Rheingau, Mecklenburg-Vorpommern und Ludwigsburg, sowie mehrfache Rezitals im Concertgebouw Amsterdam. 2002 wurde er auf Initiative der Kölner Philharmonie eingeladen, im Rahmen der Rising Stars Series (European Concert Hall Organization) aufzutreten, was ihn schließlich in die bedeutendsten Musikzentren Europas und der USA führte (Carnegie Hall New York, Wigmore Hall London, Palais des Beaux-Arts Brüssel, Konserthus Stockholm, Konzerthaus Wien, u.a.). Inzwischen konzertiert Sebastian Klinger als Solist und Kammermusiker in ganz Europa, Asien und den Vereinigten Staaten.
Classicpoint.net: Sie sind zwar in München geboren aber bis als 11-Jähriger in Gran Canaria aufgewachsen. Inwiefern hat Sie das geprägt?
Die Jahre auf der Insel waren natürlich sehr prägend. Die Menschen dort, die Sprache, das subtropische Klima (mit dem unvergleichlichen kanarischen Licht), die besondere Fauna und Flora – und natürlich das Meer sind mir seitdem sehr vertraut. Es war Anfang der 80er Jahre ja noch die Zeit vor der digitalen Revolution. Als Familie an so einen Ort zu ziehen war damals ein ganz großes Abenteuer – vielleicht sogar mehr noch als heute, wo uns in der globalisierten Welt alle digitalen Informationsquellen immer zur Verfügung stehen. Wir lebten dort im Landesinneren in einem tollen Haus mit riesigem Garten. Wenn mein Bruder und ich nicht gerade in der Schule waren, fand man uns eigentlich immer draußen, wo wir die Gegend um das Haus erkundeten, irgendetwas bauten, sammelten, lasen oder mit unserem Hund spielten. Auch kann ich mich an viele phantastische Inseltouren mit Familie und Freunden erinnern, bei denen wir den unglaublichen Farben- und Kontrastreichtum der dortigen Natur kennenlernten. Regelmäßig fuhren wir ans Meer, um u.a. in der Surfschule von Familie Dunkerbeck das Windsurfen zu erlernen, nutzten aber genauso das dortige Kulturprogramm mit bis heute unvergessenen Konzerten. Und so kam es, dass ich dort mit dem Cellospielen begann und mein erster Lehrer der Solocellist des dortigen Orchesters wurde.
Erinnern Sie sich an Ihren ersten Auftritt mit dem Cello?
Na klar, das war auch dort, im Rahmen eines Schulkonzertes, wo ich die e-Moll-Sonate von Vivaldi aufführen durfte. Ich war kurz vor meinem Auftritt wahnsinnig aufgeregt und wollte nicht auf die Bühne. Nachdem mich aber meine Mutter, die mich am Klavier begleitete, überredete, spielte ich doch – und weiß noch genau, wie großartig ich das Gefühl fand, das Stück endlich in einer Konzertatmosphäre für Publikum zu spielen.
Was hat letztlich dazu geführt, dass Sie das Cello zum Beruf machen wollten?
Alle meine ersten Celloplatten und CDs waren von Slava oder Yo Yo Ma. Ich habe sie jahrelang rauf und runter gehört und wusste bald: Das, was die machten, wollte auch ich in meinem Leben machen. Und auf dem Weg bin ich dann erstaunlicherweise relativ geradlinig geblieben.
Sie haben während dem Studium bei Heinrich Schiff in einer Wohngemeinschaft mit Christian Poltéra gewohnt. Können Sie uns ein paar Anekdoten aus dieser Zeit erzählen?
Ha, da gibt es einige! Ich erinnere mich da z.B. an eine sehr lustige Nacht-und-Nebel-Aktion, bei der wir im Zuge einer Wohnungsauflösung eine sich seit Monaten auf dem Balkon befindliche, völlig mit Wasser vollgesogene und total verschimmelte, große, alte Matratze entsorgen mussten und dafür eine halbe Ewigkeit gebraucht haben. Den Ort der Entsorgung verrate ich lieber nicht! Oder wie wir immer wieder auf den tempolimitierten österreichischen Autobahnen Heinrich Schiffs Auto auf Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit austesteten. Hätte man uns damals erwischt, es wäre der örtlichen Zeitung sicherlich eine kleine Meldung wert gewesen…
Sie haben trotz Start der Solo-Karriere beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks 2004 das Amt des 1. Solo-Cellisten übernommen. Haben Sie sich damit nicht die Karriere verbaut?
Das kommt ganz darauf an, wie man Karriere definiert. Für mich stand Karriere machen im Sinne von ‚nur Solo‘ nie im Vordergrund. Als damals der Anruf kam, ob ich nicht Lust hätte, beim BR vorzuspielen, hat es mich einfach gereizt – auch weil ich bis dahin sehr wenig Symphonieorchester gespielt hatte. In einer zu großen Festlegung auf eine bestimmte Gattung oder Besetzung sah ich für mich nie den Sinn. Ich bin daher dankbar, jetzt schon so viele Jahre eine gute Mischung aus Orchester, Kammermusik und Solo machen zu dürfen. Und vor einiger Zeit kam ja dann auch noch das Unterrichten hinzu!
Im Vergleich zu vor 20 Jahren gibt es eine grosse Anzahl an erstklassigen Solo-Cellisten auf dem Markt. Warum gibt es plötzlich so viele?
Ich denke, das hat maßgeblich mit der pädagogischen Arbeit großer Lehrer zu tun: In Mitteleuropa seien v.a. Heinrich Schiff, Boris Pergamenschikow und David Geringas genannt. Alle drei hatten über viele Jahre großartige Celloklassen und haben mit ihrer Arbeit das Celloniveau in die Breite und grundsätzlich in andere Sphären geführt. Aus diesen Klassen sind phantastische CellistInnen hervorgegangen und viele von ihnen bilden heute wiederum als ProfessorInnen aus. So wird der Spielstandard höher und höher. Dazu kommen heutzutage eine Vielzahl neuer Informationsquellen wie Audio-/Video-Musikstreamingdienste und die sozialen Netzwerke, ebenso Masterclasses überall auf der Welt. Außerdem gibt es heute tolle Eliteakademien und viel mehr Wettbewerbe als früher – alles Dinge, die die Konkurrenz fördern und das Niveau weiter steigen lassen.
Wie sieht die Entwicklung bei den aktuellen Komponisten Ihrer Meinung nach aus?
Da bin ich kein Experte. Aber ich finde, es gibt phänomenale zeitgenössische Komponisten und so viele spielenswerte Stücke allein für das Cello. Leider wird im Konzertleben immer noch viel zu wenig davon gespielt.
Wie sieht Ihr Karriereplan aus, was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Manchmal würde ich gerne eine bessere Balance hinbekommen zwischen Familie, Konzerte spielen und Unterrichten. Aber eigentlich wünsche ich mir gar nicht so sehr viel Anderes – also im besten Fall eine Fortsetzung meines bisherigen Lebens auf musikalisch hohem Niveau. Lernen kann man ja glücklicherweise in jedem Alter, sofern man nicht aufhört, an sich zu arbeiten und mit den besten Kollegen zusammenkommt.
Was sollte sich im Klassischen Musikmarkt verändern? Wo sehen Sie Chancen und Risiken?
Ich möchte mich dem allgemeinen ‚Musikmarktbashing’ gar nicht zu sehr anschließen. Der Begriff ‚Markt‘ impliziert ja, dass Geld verdient werden muss. Ich frage mich allerdings schon manchmal, ob alle Aspekte, die nicht das Musikmachen und -hören selbst betreffen, inzwischen viel zu wichtig und groß geworden sind. Sehr positiv sehe ich die junge Musikergeneration und auch die Qualität der klassischen Musik insgesamt. Wie schon gesagt war das Niveau in der Breite noch nie so hoch wie heutzutage.
Welche Interessen haben Sie neben der Musik?
Kunst, Politik, Umwelt, Sport …
Hobbys hätte ich auch ein paar … momentan verbringe ich allerdings meine cellofreie Zeit vorwiegend mit meiner Familie – wir haben vier kleine Töchter, da bleibt nicht so sehr viel Raum für anderes.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 1.8.2019