Max Emanuel Cencic im Interview
« Die Oper ist für mich das Spiegelbild der Welt. »
Max Emanuel Cencic ist einer der weltweit faszinierendsten und vielfältigsten Künstler, der sich für die Wiederentdeckung und Aufführung der Musik des 18. Jahrhunderts einsetzt. Mit seinem virtuosen Mezzosopran zeigt Max Emanuel Cencic, wie technisch brillant und gleichzeitig modern und einfühlsam Barockgesang sein kann. Seit exakt 35 Jahren steht er auf der Bühne und tritt weltweit an den großen Opernhäusern auf, wie der Wiener Staatsoper, dem Theater an der Wien, am Opernhaus Zürich, der Opéra Royal in Versailles, der Bayerischen Staatsoper, der Staatsoper Unter den Linden Berlin, Barcelonas Gran Teatro del Liceu, dem Théâtre des Champs-Elysées sowie im Brüsseler Opernhaus La Monnaie.
Classicpoint.net: Gab es in Ihrem Leben einen bestimmten Moment, in dem Sie sich bewusst entschieden haben, Sänger zu werden?
Eher sehr spät, da ich nicht ganz sicher war, ob ich singen möchte. Wenn man als Kind ein Instrument spielt oder tanzt, dann liegt es klar auf der Hand, da man selber darüber entscheiden kann, ob man es als Beruf weiter verfolgt oder nicht. Wenn man singt, ist es ungewiss, ob die Stimme nach der Mutation noch gut sein wird. Daher hat man das weniger unter „Kontrolle“. Ich beschloss erst Anfang meiner 20er, Singen wirklich zum Beruf zu machen.
Was bedeutet für Sie Oper?
Die Oper ist für mich das Spiegelbild der Welt.
Was sind die grössten Herausforderungen eines Countertenors?
Innerhalb eines festeingespielten Systems der klassischen Oper doch noch einen Unterschied machen zu können. Es werden 100 Opern seit 50 Jahren fix im Repertoire weltweit gespielt. Davon sind gerade mal 3-4 Barockopern, die vielleicht alle paar Jahre gespielt werden. Das ist nicht viel.
Haben Sie auch schon bei Konzerten erlebt, dass Besucher zum ersten Mal einen Countertenor gehört und seltsam reagiert haben?
In den 90ern habe ich das erlebt. Heutzutage eher nicht mehr. Aber das ist auch sehr vom Publikum abhängig. Es gilt zu unterscheiden zwischen Zuhörern, welche nur 0815-Klassik hören möchten, also kommerziell berieselt werden wollen, und Zuhörern, welche Musik und Kunst als eine Form annehmen, welche zur Herausforderung und zum Dialog einladen soll.
Ist das Talent zum Countertenor eigentlich bereits vor oder erst nach dem Stimmbruch ersichtlich oder beurteilbar?
Das ist individuell unterschiedlich. Es gibt keine Regeln.
Sie sind bereits mit 6 Jahren im Fernsehen aufgetreten und haben als 16-Jähriger bereits 800 Konzerte gegeben. Mit 19 Jahren hatten Sie genug und wollten gar nicht mehr. Wie war Ihre Gefühlslage und weshalb sind Sie wieder zum Gesang zurückgekehrt?
Man fühlt sich nie gut, wenn man sich selbst eingestehen muss, dass es im Leben nicht mehr weiter geht. Es ist aber eine Lebenslektion, die wir alle Menschen im Leben machen. Man ist eben nicht immer nur der Gewinner, und es geht auch mal im Leben abwärts. Das ist aber völlig normal, und ich möchte das nicht speziell auf meinen Fall thematisieren. Viele Menschen durchleben unterschiedlichste Situationen mit Verlusten. Es liegt an uns, sich damit zu beschäftigen und irgendwie fertig zu werden. Jeder reagiert unterschiedlich. Ich bin wohl eher eine Kämpfernatur, also war Aufgeben für mich keine Option.
Ihre Leidenschaft ist Barockmusik. Wie stehen Sie zu neuen Kompositionen der aktuellen Komponistengeneration?
Ich habe keine Meinung zur zeitgenössisch klassischen Musik, da ich zu wenig Erfahrung habe und deshalb auch nicht urteilen möchte.
Sie sind auch als Regisseur tätig. Wie gehen Sie an eine Inszenierung heran, verändert sich während der Probearbeit noch vieles, oder haben Sie Ihre Inszenierung bereits vor der ersten Probe fixfertig durchdacht?
Ich starte immer mit einer Idee und spiele das Libretto im Kopf durch. Regie ist für mich ein wahrer Segen, weil ich darin die Erfüllung finde, meine eigenen Träume und Realitäten zu gestalten. Diese ungeheure Freiheit der Phantasie ist es, die mich leitet. Die Vision und der Bogen müssen stimmen. Details kann man immer ändern, und diese erarbeite ich dann mit Sängern, die auch dank ihrer Bühnenerfahrung die Geschichte zum Leben bringen.
Was sind Ihre aktuellsten Projekte?
Ich werde „Serse“ in Karlsruhe, im Rahmen der Internationalen Händel-Festspiele und „Polifemo“ an den Salzburger Festspielen, in der Felsenreitschule singen – was mir eine ungemeine Ehre ist.
Was machen Sie gerne neben der Musik?
Ich bin vielseitig interessiert an Kunst, Reisen, Sprachen, Kino.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 2.11.2018