Lucas und Arthur Jussen im Interview
«Wir haben super viel Glück, dass wir es wirklich gut miteinander haben.»
Ihren ersten Klavierunterricht erhielten die Brüder Jussen in ihrem Geburtsort Hilversum. Schon als Kinder durften sie vor der niederländischen Königin Beatrix auftreten, erste Auszeichnungen bei Wettbewerben folgten. 2005 studierten die beiden auf Einladung der portugiesischen Meisterpianistin Maria João Pires fast ein Jahr lang in Portugal und Brasilien. In den darauffolgenden Jahren wurden sie sowohl von Pires als auch von renommierten holländischen Lehrern unterrichtet. Lucas vervollständigte seine Ausbildung bei Menahem Pressler in den USA und bei Dmitri Bashkirov in Madrid. Arthur schloss sein Studium bei Jan Wijn am Konservatorium in Amsterdam ab.
Seit 2010 sind Lucas & Arthur Jussen beim Label Deutsche Grammophon unter Vertrag. Ihre Debüt-Aufnahme mit Werken von Beethoven wurde mit Platin ausgezeichnet und erhielt den Edison Klassiek Publikumspreis. Nach einem Schubert-Album und „Jeux“, einer Aufnahme mit französischer Klaviermusik, erschienen 2015 die beiden Mozartkonzerte KV 242 und KV 365, begleitet von der Academy of St Martin in the Fields und Sir Neville Marriner. Das Album erreichte Gold-Status. Es folgte das Doppelkonzert von Poulenc und Saint-Saëns‘ „Karneval der Tiere“, eingespielt mit dem Concertgebouworkest unter Stéphane Denève. Eine Aufnahme mit Konzerten und Chorälen von Johann Sebastian Bach, entstanden in Zusammenarbeit mit der Amsterdam Sinfonietta, wurde 2019 veröffentlicht. Auf „The Russian Album“ (2021) interpretieren sie Werke für zwei Klaviere von Rachmaninoff, Strawinsky und Arensky. In ihrer jüngsten Einspielung „Dutch Masters“ (April 2022), u.a. unterstützt vom Netherlands Radio Philharmonic Orchestra unter Karina Canellakis, widmen sie sich Werken holländischer Komponisten. Die Aufnahme wurde im September 2022 mit einem Edison Klassiek in der Kategorie „Kammermusik“ und dem Publikumspreis ausgezeichnet.
Gibt es Momente, bei denen Sie lieber alleine als Solist auftreten würden?
Lucas:
Nein, eigentlich nicht. Wir sind immer froh, zu zweit zu spielen. Ich meine, wenn wir alleine spielen, dann finden wir das auch schön, vor allem wegen des Repertoires. Es gibt natürlich wunderschöne Stücke für ein Klavier, aber es ist noch nie passiert, dass wir zusammen spielen und ich denke: „Jetzt nervt er mich so. Ich wünschte mir, dass ich alleine spielen kann.“ Das ist zum Glück noch nicht passiert.
Arthur:
Wir haben das Glück, dass wir beides machen können. Wir spielen das Duo-Repertoire, aber können auch das Solo-Repertoire spielen. Zum Beispiel diese Woche spielen wir beide ein Klavierkonzert von Beethoven. Das ist natürlich super und für uns ist es auch eine riesige Freude, dass wir die Sachen neben dem Spielen - also das Reisen und im Ausland verbleiben und so - zusammen machen können, weil man sich da manchmal sehr einsam fühlen kann, wenn man für das hundertste Mal wieder am Flughafen ist oder warten muss vor dem Einchecken ins Hotel oder so. Das ist alles wirklich viel schöner, wenn man es zu zweit machen kann. Ich denke, wir sind sehr glücklich zusammen.
Was nervt Sie am meisten bei Ihrem Bruder?
Lucas:
Das ist auch eine schwierige Frage. Ich muss sagen, dass ich eigentlich nichts bei Arthur habe, was mich wirklich nervt. Ich meine, wir haben unsere Momente, wenn wir vielleicht ein klein bisschen Ärger haben miteinander - Arthur genauso viel mit mir wie ich mit Arthur - aber das ist nicht ein spezifischer Aspekt von Arthur, der mich immer nervt. Also, nein, da habe ich eigentlich keine gute Antwort darauf.
Arthur:
Ich habe eigentlich die gleiche Antwort. Ich denke, wir haben super viel Glück, dass wir es wirklich gut miteinander haben. Und da ist ja auch keine Wahl. Da muss man auch ein bisschen Glück haben, weil viele Geschwister, die können einfach nicht gut miteinander. Wir haben manchmal so ein bisschen Streit, aber das ist so selten und das sind dann so blöde Sachen, dass es eigentlich nicht wichtig genug ist, um das zu nennen.
Was bewundern Sie am meisten bei Ihrem Bruder?
Lucas:
Ich denke, dass Arthur unglaublich hart arbeiten kann, wenn er muss. Wenn da wirklich gearbeitet werden muss, dann ist es eigentlich egal, ob er müde ist, ob die Umstände gut sind oder nicht, ob er viel geschlafen hat oder wenig. Er kann dann einfach unglaublich hart arbeiten. Und ich denke, dass man das in unserem Beruf auch wirklich braucht. Das ist etwas von Arthur, das ich sehr bewundere.
Arthur:
Ich denke, was ich am meisten an Lucas bewundere, ist, dass er sehr gut ist, die Dinge ins rechte Licht rücken. Wie sagt man das auf Deutsch? Um „things in perspective“ zu sehen. Also wir haben manchmal ja wichtige Konzerte oder doch manchen Druck vor einem Konzert oder während eines Konzerts. Und wir haben einmal angefangen mit dem Klavierspielen, weil wir das so lieben. Wir lieben es, Musik zu machen, und es ist ja auch wichtig, dieses Gefühl nicht zu verlieren, wenn man Druck hat. Auch wenn man auf einem großen Podium sitzt und spielen muss und gut spielen muss, geht es noch immer um die Musik. Und Lucas ist sehr gut darin, manchmal den Druck wegzunehmen und zu sagen: „Hey, du bist doch super vorbereitet. Spiel einfach. Mach Musik“, oder so. Und ich kann das manchmal verlieren. Also ich bin dann sehr froh, dass Lucas mir mit nur einem kleinen Satz sehr helfen kann.
Von welchem aktuell lebenden Komponisten würden Sie sich am meisten eine Komposition für ein Klavierduo wünschen?
Lucas:
Es gibt einige Komponisten, die wir sehr bewundern, und diese Komponisten haben eigentlich auch alle für uns geschrieben, zum Beispiel Jörg Widmann. Der ist wirklich ein Genie. Er schreibt solch geniale Musik. Und letztes Jahr hat er ein neues Stück, „Bunte Blätter“, für uns geschrieben für zwei Klaviere. Das war ein großer Traum von uns, dass das überhaupt passiert ist. Und wenn ich jetzt wirklich überlege: „Gäbe es noch einen anderen Komponisten, den ich mir wirklich wünsche?“, dann finde ich es schwierig. Auch Joey Roukens, ein holländischer Komponist, von dem wir ein neues Klavierkonzert aufgenommen haben, hat auch Musik für uns geschrieben. Das sind zum Beispiel beides Komponisten, die wir sehr lieben, die uns sehr nahestehen. Und ich denke, dass wir das unglaubliche Glück haben, dass die ein Stück für uns geschrieben haben. Also es gibt immer Wünsche, aber für jetzt bin ich eigentlich sehr zufrieden.
Arthur:
Es gibt natürlich sehr viele tolle Komponisten und wir schauen uns immer um, um zu sehen, was interessant ist. Es ist schwierig für uns, zu sagen: „Er oder sie, Mann oder Frau - da wollen wir, dass er/sie ein Stück für uns komponiert“, weil es so viele gute Komponisten gibt, dass wir nicht nur einen Namen nennen wollen. Wir sind immer auf der Suche nach neuen Stücken und wir sind immer sehr geehrt, wenn Komponisten für uns schreiben wollen.
Wie ist die Zeitverteilung in etwa? Wie viel Zeit üben Sie zusammen und wie viel jeder alleine?
Arthur:
Eigentlich ist das 90% vs. 10%. Zum größten Teil üben wir selber. Wir sind der Meinung, dass du erst deine eigene Stimme wirklich super spielen können musst, und dass man dann zusammenkommt, weil wir denken, dass es keinen Zweck hat, zusammenzukommen und zusammen zu proben, wenn man seine eigene Stimme nicht gut genug kennt. Wenn wir zusammen arbeiten oder proben, dann sprechen wir nicht super viel. Dann spielen wir einfach. Und das Wichtigste ist, dass man auch fühlt, was der andere will oder was der andere macht. Und da nutzen wir nicht viele Wörter. Das ist mehr spielen als reden bei uns.
Hätten Sie auch mal Lust, mit einem anderen Partner ein Klavierduo zu spielen?
Lucas:
Na ja, im Moment eigentlich nicht. Und das kommt daher, weil ich persönlich schlechte Erfahrungen damit habe. Ich habe vier Jahre im Ausland studiert und da musste ich auch mit jemand anderem ein Duo spielen und habe gemerkt, wie natürlich alles mit Arthur geht und wie schwierig es eigentlich ist, das mit jemand anderem zu machen. Es fühlt sich so unnatürlich und so ungewohnt an, das mit jemand anderem zu machen. Ich denke, mit Arthur rede ich eigentlich auch fast nicht, wenn wir spielen. Wir spielen einfach. Wir fühlen sehr gut, was der andere machen will, was der andere fühlt. Und als ich das Duo gespielt habe mit jemand anderem im Ausland, dann musste ich über jede Phrasierung reden und ich fand das sehr anstrengend. Nein, ich bin sehr zufrieden mit Arthur.
Arthur:
Ja, und ich bin auch sehr zufrieden mit Lucas. Mit einer schönen Frau zusammen zu spielen ist natürlich auch toll :-), aber nein, wir sind sehr glücklich miteinander.
Sie sind auch sehr an Sport interessiert. Machen Sie selbst regelmäßig Sport?
Lucas:
Ja, das machen wir. Wir lieben Sport. Ich denke, neben Musik ist Sport eine Sache im Leben, die wir am meisten lieben. Und wir machen es viel, ausser wenn wir auf Tournee sind, dann ist es schwierig, Tennis zu spielen oder Fußball zu spielen, dann ist es oft Fitness oder Jogging oder so. Wir haben eigentlich unser ganzes Leben Fussball gespierlt und wir gehen auch Skifahren. Ich weiß, das ist ein bisschen gefährlich für die Hände, aber das machen wir schon seit der Kindheit, als wir sehr klein waren.
Haben Sie noch weitere Hobbys?
Lucas:
Ja, haben wir. Wir lieben es sehr, wenn wir Zeit haben und zu Hause sind, um essen zu gehen mit unserer Familie, mit Freunden. Weil wir eigentlich so viel weg sind und viel reisen, sind wir immer sehr froh, wenn wir auch zu Hause sind in Amsterdam. Amsterdam ist eine schöne Stadt mit sehr vielen schönen Kneipen, schönen Restaurants. Und ich weiß überhaupt nicht, ob man das wirklich ein Hobby nennen kann. Ich meine, Sport ist auch ein Hobby von uns, aber Essengehen, das ist wirklich etwas, was wir sehr lieben.
Arthur:
Familie und Freunde sind für uns sehr wichtig. Wir haben eine kleine Gruppe, die uns sehr nahesteht, mit denen wir sehr gerne Zeit verbringen.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 01.01.2023
Copyright Bild: Marco Borggreve