Leonard Elschenbroich im Interview
« Die übertriebene Verehrung der Jugend ist im Bezug auf das klassische Publikum besonders fehl am Platz. »
Leonard Elschenbroich hat sich als einer der charismatischsten Cellisten seiner Generation etabliert. Zu seinen zahlreichen Auszeichnungen und Preisen gehören unter anderem der Leonard Bernstein Award, Eugene Istomin Prize sowie der Borletti Buitoni Trust Award. Er war BBC Radio 3 New Generation Artist und erhielt den Förderpreis vom Deutschlandfunk. Von 2013-2016 war er der erste Artist-in-Residence der Philharmonischen Gesellschaft Bremen.
Mit 5 Jahren haben Sie die C-Dur-Suite von Bach für Cello gehört und mussten weinen. Danach wollten Sie dieses Instrument spielen lernen. Können Sie sich daran erinnern?
Ich sehe noch diesen Moment mit dem CD-Player vor mir. Ich war so überwältigt und beunruhigt vom dem Gefühl. Es war keine Reaktion auf den emotionalen Ausdruck der Musik, sondern einzig auf die Schönheit der Musik.
Mit 11 Jahren sind Sie von Deutschland nach England umgezogen, um dort mit einem Stipendium an der Menuhin School Unterricht zu nehmen. Wie war diese für Sie?
Na ja, die ersten Wochen waren sehr hart. Ohne Handy und Internet ist man im Internat wirklich sehr fern von den Eltern. Das Härteste war die Umstellung auf das Üben. Wir mussten täglich 5 Stunden üben, und bis dahin hatte ich nie länger als 1 Stunde geübt. Das musste ich erst lernen. Aber als Kind lernt man ja schnell. Ich war nur drei Jahre an der Yehudi Menuhin School, aber fast alle meine heutigen Freundschaften stammen aus der Zeit. In meiner Erinnerung ist die Menuhin School ‘meine Kindheit’.
Sie kommen von Deutschland, haben auch in Wien studiert und einige Jahre in London gelebt. Wo fühlen Sie sich zuhause?
Berlin! Ich wohne erst seit anderthalb Jahren dort aber fühle mich ganz zu Hause. Da bin ich wohl nicht der einzige Musiker…
Sie haben in Bolivien ein Orchester gegründet und reisen für gemeinsame Konzerte regelmässig nach Bolivien. Können Sie uns erzählen, wie es dazu gekommen ist und was Ihnen dieses Projekt bedeutet?
Als ich 2012 in Lateinamerika auf Tournee war, bat mich eine Bekannte, mit Miguel Salazar (damals 27) und seinem kleinen Orchester ein Konzert in Bolivien zu spielen. Die Gruppe bestand aus etwa 15 Musikern, darunter keiner über 30. Da sie keine Bläser hatten, mussten diese durch eine Pianistin ersetzt werden. Leider hatte es im Dach des Saales, in dem der Flügel aufbewahrt wurde, ein Loch und tagelang in das Instrument geregnet. Ich sollte mit ihnen das Cellokonzert von Saint-Saëns spielen, das mit einem einzelnen Fortissimo-Akkord im Orchester beginnt. Als ich zur ersten Probe kam, war ich so erschrocken von diesem Orchestereinsatz, dass ich selber kaum einsetzen konnte. Energie, Leidenschaft, Ehrgeiz und ein Brennen für die Musik, wie ich es noch nie erlebt hatte. Ich wusste von dem Moment an, dass diese Musiker jede Unterstützung verdient hatten, und dass ich vorerst dafür verantwortlich sein müsste. Die künstlerische und administrative Leitung trug Miguel allein, und den Kartenverkauf, die Pressearbeit, Saalmiete etc. übernahmen die Musiker selbst. Es gab keine klassische Konzertreihe in der Stadt, keine Abonnenten, und dennoch war das Konzert nicht nur ausverkauft, sondern es mussten sogar einige in der Schlange anstehende Besucher draussen bleiben.
Im Jahr darauf (2013) gründeten wir, zusammen mit der grosszügigen Unterstützung der Hilti-Foundation, das Orquesta Filarmonica de Bolivia. Diesmal spielten wir mit zugereisten Musikern aus dem ganzen Land, La Paz, Tarija, Sucre, Santa Cruz. Bei unserem ersten Konzert waren wir bereits 50 Musiker und spielten nun in Cochabamba, einer kleinen Stadt auf 2.500 Meter Höhe über dem Meer vor 500 Konzertbesuchern. Noch ein Jahr darauf waren wir 90 Musiker, inzwischen mit bolivianischen Emigranten, die eigens für das Konzert ins Land zurückkehrten, aus Heidelberg, Oxford, Newcastle, Houston oder Wien.
Diesmal spielten wir in einem Saal mit 900 Plätzen, und es kamen über 1.000 Besucher, die sich teilweise eigene Stühle mitgebracht hatten oder stehen mussten. Es war ein Riesenerfolg.
Für mich ist das die grösste Freude, mitzuerleben, mit welchem Einsatz die jungen Musiker bei den Projekten dabei sind. Es gibt in Bolivien viele Streiks, dazu oft Lkw-Blockaden auf Zufahrtstrassen, sodass die Musiker manchmal nach zwölfstündiger Busfahrt mit ihren Instrumenten lange Strecken laufen mussten, um zur Probe zu kommen. Man muss sich nur vorstellen, wie sich ein europäisches Orchester in der Situation verhalten würde. Diese Musiker erinnern uns daran, dass es ein Privileg ist, Musik zu spielen.
Bolivien hat in Lateinamerika eigentlich die älteste klassische Tradition. Im 18. Jahrhundert haben die spanischen Jesuiten, damals im Urwald der Chiquitania, Musik eingeführt und auch vor Ort komponiert.
Es gibt ja unglaublich viele sehr gute Cellisten Ihrer Generation. Pflegen Sie Freundschaften?
Mein bester Freund ist ein Cellist (Menuhin School, natürlich). Aber sonst habe ich mich immer zu Geigern hingezogen gefühlt. Mein Freundeskreis an der Hochschule Köln bestand aus Schülern von Zakhar Bron und Viktor Tretiakov.
Sie haben sehr viele Konzerte auf der ganzen Welt. Können Sie uns ein paar Anekdoten erzählen von witzigen Ereignissen hinter der Bühne oder auf Reisen?
Einmal, am Ende einer intensiven Konzertphase, kurz vor der Sommerpause, bin ich auf der Bühne eingeschlafen. Am Ende vom langsamen Satz im Erzherzog Trio (Beethoven). Meine Lieblingsstelle! Dann bin ich während des Konzerts aufgewacht… (hat aber keiner gemerkt, glaube ich.)
Zurzeit gibt es ja starke Bestrebungen, klassische Konzerte für junge Leute attraktiver zu machen. Sie haben mal gesagt, dass man dabei die älteren Leute nicht vergessen sollte?
Die älteren Menschen haben viele Eigenschaften, die für das Zuhören sehr geeignet sind: Zeit, Geduld, Lebenserfahrung. Junge Menschen stehen unter grossem Druck: Geld verdienen, Pläne verwirklichen, Familie gründen. Diesen Druck müssen sie dann abbauen mit “Feiern”, Alkohol usw. Während einer Bruckner-Sinfonie könnte man viele Emails schreiben, oder Leute kennen lernen. Wir müssen die jungen Menschen an die Musik führen, keine Frage. Ich mache ja auch einiges in der Richtung (Lateinamerika, Rhapsody in School usw.) Aber die übertriebene Verehrung der Jugend ist im Bezug auf das klassische Publikum besonders fehl am Platz. Ich freue mich, ein sogenanntes “graues” Publikum im Saal zu sehen. Wir verstehen uns.
Sie setzen sich für unbekanntere Werke und Neukompositionen ein. Von welchem Komponisten würden Sie sich aktuell eine Neukomposition wünschen?
Julian Anderson, Sofia Gubaidulina, Thomas Ades, Oliver Knussen...
Sie sind noch jung. Wie lauten Ihre Visionen und mögliche Zukunftsprojekte?
Seit dem letzten Jahr dirigiere ich. Ich hoffe, so lange wie möglich Cello spielen zu können, aber gleichzeitig geht meine Aufmerksamkeit jetzt sehr aufs Dirigieren. Nicht allein das Repertoire und der Klang, sondern das Physische, und die ewige Lernkurve machen mir tiefe Freude.
Wie holen Sie sich den Ausgleich zur Musik?
Ich wandere in Südtirol, wo mein Vater herkommt. Das würde ich als Ausgleich sehen. Aber wichtiger ist die Inspiration. Die finde ich in der Kunst, der Literatur über die Kunst, und der Lyrik, hauptsächlich.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 4.7.2017
© Foto: Felix Broede