Interview mit Jens Lohmann
«Die digitalen Netzwerke haben auch bei uns MusikerInnen alles aufgemischt.»
Stammt aus Stuttgart. Nach dem Abitur studierte er Violine bei Aida Stucki in Winterthur und bei Yfah Neam an der Guildhall School London. 1989 gewann er den ersten Preis beim Rhan Wettbewerb der Schweizer Musikhochschulen, 1991 eine Medaille beim Wettbewerb des italienischen Fernsehens RAI zum Mozartjahr, im gleichen Jahr wurde er mit dem Solistendiplom ausgezeichnet. Seither machter er zahlreiche Einspielungen für Rundfunk, Fernsehen und auf CD. Als Solist, Konzertmeister und Kammermusiker konzertierte er in den meisten Ländern Europas sowie in Afrika und Asien. Studien und Dirigieren (Luzern), Musikwissenschaften und Philosophie (Freiburg) erweitern seine musikalischen Horizonte ebenso, wie die intensive Beschäftigung mit Neuer Musik. Jens Lohmann ist seit 1991 Dozent an Hochschule und Konservatorium Zürich. 2006 initiierte er als künstlerischer Leiter das Festival Herbst in der Helferei in Zürich, welches jungen Musikern die Gelegenheit eröffnet, gemeinsam mit arrivierten Künstlern in Konzerten während einer Woche aufzutreten.
Sie haben nach dem Geigenstudium noch Musikwissenschaften und Philosophie studiert. Wie kam es dazu?
Am 7. Juni 1991 stand ich – nach dem Vortrag von Tschaikovskys Violinkonzert - mit meinem frisch gebackenen Solistendiplom vor dem Winterthurer Stadthaussaal und beschloss in den nachfolgenden Tagen, nun «was anderes» zu machen. Dass die Lebensrichtung, der way of life sich anschliessend an ein Studium, das von aussen betrachtet insgesamt doch als «sehr erfolgreich» wahrgenommen worden war, so grundsätzlich ändert, braucht es vermutlich mehrere Ursachen: Ich hatte anscheindend meine Schul-Matur gleichsam als Vermächtnis, immer als ein einzulösendes Versprechen mit mir «rumgetragen», und mit dem Abschluss der Musikstudien kamen neben der Freiheit, neue Wege zu beschreiten, ein paar persönliche Dinge hinzu sowie ein Zufall: Meine Eltern trafen in ihren Ferien auf Kreta einen bedeutenden Musikologen, der in Freiburg im Breisgau lehrte, der gleichsam eine Einladung an die Albert-Ludwig-Universität aussprach – und der ich also folgte.
Sie haben 2006 die Festivalwoche "Herbst in der Helferei" gegründet". Was zeichnet diese Konzertreihe aus?
2006 hätte ich gesagt: das Generationenprinzip, Heute trifft Morgen, das konsequente Umsetzen von arriviert trifft jung-begabt – ein Begegnungsfest also. Das lag aber wohl irgendwie in der Luft, und viele andere machen das mittlerweile auch. Heute würde ich also antworten: Das Festival ist in bald 20 Jahren persönlich geblieben. Die Kritiker schreiben hin und wieder «klein aber fein». Das meint zunächst sicher die wunderbare Location, die Helferei Grossmünster, dann die KünstlerInnen, die häufig aus meinem engeren oder weiteren Bekanntenkreis sind (Zürich als Stadt mit drei tollen Orchestern bietet hier halt wirklich einen unglaublich internationalen Pool) und – not least – die Betreuung durch eine Gruppe (die wir OK, Organisationskomitee nennen), die in hunderten von ehrenamtlichen Stunden tolle Arbeit leistet, und dem Ganzen sein besonderes Flair, seinen Stil verleiht. Das Tüpfelchen auf dem i ist der Apero, der bei uns anschliessend an die Konzerte angeboten wird, und bei dem man erstaunliche Bekanntschaften machen kann – ein Ort zum Sehen und gesehen werden, perfekt für ein Selfie mit Celebrities: Als 2019 Sumina Studer bei uns spielte, kam Ray Chen zum best Apero in town. Und schliesslich, dass wir durch unsere gemeinsame Energie und unseren Enthusiasmus – gepaart mit ein bisschen Glück – immer wieder auch an die Allerbekanntesten gelangen konnten: wo Mischa Maisky und Patricia Kopatchinskaja mal aus und ein gegangen sind, kannst Du jeden einladen – so wie heuer beispielsweise Avi Avital.
Sie sind auch Künstlerischer Leiter des interagierenden Orchesters Stringendo. Was ist dabei speziell?
Das ist, seit 1999, eine lange, intensive und schöne Geschichte. Stringendo bedeutet Aufbruch, Bewegung, Action. Stringendo ist eine begeisternde Idee, ein junger Stil. Our music is different. Listen to it! ..
Haben Sie einmal ein Konzert gehört? Dann verstünden Sie, dass das tatsächlich so ist!
Ich weiss nicht, wie viele MusikerInnen, die heute in Zürich und Umgebung als Professionals arbeiten, früher Stringendi waren. Es hat so was von anheftendem «Stallgeruch», dieses Stringendo-Milieu, was frühere Generationen noch lange (womöglich ein ganzes Leben) in Kontakt hält, ein langfristiges Zugehörigkeitsgefühl mitgibt.
Überdies sind Stringendo und das Herbstfestival dadurch eng verwoben, dass die beiden jeweiligen Stringendo-Generationen (Teenager und Studenten) als Festival-Orchester spielen, was eine Win-win-Situation für ALLE Beteiligten mit sich bringt.
Ihnen ist die Förderung junger MusikerInnen besonders wichtig. Gibt es eine Veränderung der jungen MusikerInnen im Vergleich zu den letzten Generationen?
Social Media!!, die digitalen Netzwerke haben auch bei uns MusikerInnen alles aufgemischt. Einerseits sind da die gewinnbringenden Vorzüge wie Youtube, das uns jederzeit frei Haus durch die Konzertsäle der Welt surfen lässt: 24/7-Inspiration durch die lebenden Stars wie auch durch die Legenden Oistrach, Rubinstein oder Toscanini.- Andererseits werden wir die Geister, die wir riefen, oft nicht los: Das beginnt bei der schwieriger herzustellenden bzw. zu bewahrenden Konzentration beim Üben; es geht weiter zur zeitraubenden «Verpflichtung», im Netz präsent zu sein: Ein bisschen ist’s doch so, dass die Wertigkeiten sich verschoben haben, die Netz-Realität (alles, was da an Eigenlob-Hymnen auf den Homepages zu lesen ist) hat der «alten» Realität da draussen den Rang abgelaufen; und dann ist da auch eine spürbare Unruhe entstanden, die’s vor 2000 viel weniger gab: Weil die Eltern begabter Jugendlicher im Netz dauernd all die Promis (und Pseudopromis) präsentiert kriegen, leben sie unter dem (Ein-)Druck, sie könnten für ihre Kinder etwas verpassen. Sie sind unterwegs von einem Event zum anderen, von einer Masterclass zur nächsten, von einem Professor zum nächsten (zwischen denen tw. viele Flugstunden zurückzulegen sind).
Welches sind die Herausforderungen für junge MusikerInnen heute?
Vor allen Dingen: die Ruhe zu bewahren (siehe vorangehende Frage); wachen Auges (und Ohrs) wahrnehmen, was sich an wirklich Gutem entwickelt, und dabei – möglichst ungestört- konzentriert - die eigene Arbeit mit Ausdauer, täglichem Fleiss und fortwährender Freude an der wundervollen Materie weiterbringen.
Sie selbst unterrichten seit über 20 Jahren am Konservatorium Zürich MKZ City und der Hochschule. Wie hat sich Ihr Unterricht in dieser Zeit entwickelt?
Ich hoffe, er hat sich verbessert!Drei Beispiele: Als ich anfing, brachte ich ein paar wenige Notenhefte mit an den Florhof, und die SchülerInnen mussten nolens volens etwas daraus spielen; heute hab’ ich drei wirklich umfangreiche Bibliotheken zur Verfügung: eine in mehreren Schränken, eine in meinem Handy und dann imslp.- Zweitens: Als ich anfing, hatte ich doch viel weniger Lösungsansätze, weniger Bilder, musste meine Ideen und Übungen, mein System doch erst noch in der gemeinsamen Arbeit mit den SchülerInnen und ihren Problemen entwickeln; heute ist der ganze Fundus abrufbar da. Das hat auch zur Folge, dass wenn etwas nicht gleich klappt, ich denke: nächste Woche probieren wir es wieder, anders, ich muss den richtigen «Schlüssel» finden – so hat der Schüler jedesmal wieder mein sich erneuerndes Vertrauen, dass er es schaffen kann.- Drittens: Durch’s Herbstfestival sind die Klasse und ich durch’s Jahr über immer positiv ausgerichtet. Das Gross-Projekt, an dem meist fast alle mitwirken, stiftet den Flow, und die grossartigen KünstlerInnen, die wir einladen, bringen immer neue Ideen, Blickwinkel, die uns wieder bereichern.
Sie unterrichten ja herangehende BerufsmusikerInnen. Es werden ja viel mehr MusikerInnen ausgebildet als der Markt braucht. Wie gehen Sie damit um?
Gegenfragen: wenn wir ausschliesslich nach dem Gesichtspunkt der Marktorientiertheit, nach der Nachfrage uns für oder gegen Studiengänge entschieden – müssten dann nicht alle Informatik oder etwas in dieser Richtung studieren? Gab es nicht seit langem oder seit immer schon Brotstudien und andererseits Studien, die eher aus Neigung als wegen der Aussicht auf einen auskömmlichen Verdienst gewählt wurden bzw. werden? Und wird die Arbeit nicht auch in anderen Sparten durch KI weniger?- MusikerIn wirst Du natürlich, weil Dir Deine Lehrer Talent attestieren und Du damit rechnen darfst, einmal Dein Leben in diesem Beruf zu verdingen; aber vor allem wirst Du es, weil Du es unbedingt willst, Du Dich berufen fühlst (auch wenn Du befürchten musst, nicht der/ die Aller-aller-Beste zu sein).
Auch im Musikerberuf gibt es steinige Momente, kleinere oder grössere «Niederlagen», Zweifel; in diesen Situationen bist Du doch dann am besten gerüstet, wenn Du weisst: ich wollte es unbedingt machen, es ist mein «Ding».
Sie sind auch regelmässig in Wettbewerbs-Jurys. Welche Erfahrungen haben Sie mit diesem Format gemacht?
Ich war in vielen Wettbewerbs-Jurys und zweifelte immer daran, dass ich alles ganz gerecht entschieden hab’ – es blieb/ bleibt immer ein leise-ungutes Gefühl, wenn ich’s aus dieser Perspektive erlebe. Gott sei Dank kommt es viel häufiger vor, dass ich meine SchülerInnen auf Wettbewerbe vorbereite. Das ist immer durchwegs positiv: Wir haben ein Ziel, auf das wir uns motiviert und stringent zubewegen – im Radsport würde ich vergleichend von einer Etappe sprechen. Und wenn mit dem Wettbewerb die Etappe vorüber ist, bleiben v.a. die Fortschritte. (Nur in ganz seltenen Fällen war ich mit den Jury-Leistungen meiner Kolleginnen wirklich unzufrieden; dann musst Du den Schüler wieder aufrichten ..).
Welches sind Ihre persönlichen Ziele, die Sie noch erreichen möchten?
Beruflich möchte ich mich natürlich weiter verbessern, als Lehrer, als Dirigent und Ensemble-leiter, undund; auch als Geiger möchte ich mich (ungeachtet meiner Alterszahl) entwickeln, das ist doch selbstverständlich – es ist wie für Jugendliche beim Wettbewerb: Ziele sind Durchgangsstationen, nicht weniger und nicht mehr. Und ich möchte als Künstlerischer Leiter von «Herbst in der Helferei» in dieser wirklich besonderen Kalenderwoche 38 noch viele unvergessliche Konzerte organisieren.
Privat möchte ich meinen Kindern – täglich - ein (halbwegs) guter Vater sein (was in unserem Beruf nicht immer einfach ist); das Ziel hier wäre: dass ich mich immer ein bisschen besser «freischwimmen» kann, um Zeit mit ihnen verbringen zu dürfen.
Welche Leidenschaften ausserhalb der Musik haben Sie?
Wie gesagt: die Kinder, ..
Dann: lesen. Ich komme – mütterlicherseits – aus einer literarisch interessanten und sowieso interessierten Familie, bin in einem Haus mit einer riesigen Bibliothek gross geworden, und hab’ in meiner (immer schon knappen) Freizeit sehr, sehr gerne und viel gelesen.
Schliesslich: Sport. In meiner Jugend hab’ ich viel Sport getrieben, Tischtennis, Fussball undund. Heutzutage komm’ ich (zu) wenig dazu, bin eher zum Konsument geworden, dies aber mit hohem Interesse und unverminderter Begeisterung.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 01.09.2023