"Himmelskönig, sei willkommen"
BWV 182 zu Palmarum
Als Fokus des Monats April präsentieren wir Ihnen die Kantate BWV 182 «Himmelskönig, sei willkommen».
Die Kantate «Himmelskönig, sei willkommen» BWV 182 entstand zum Palmsonntag 1714 als erste Komposition nach Bachs Ernennung zum Konzertmeister am Weimarer Hof. Alfred Dürr vermutet aufgrund einer Vorschrift in einzelnen Aufführungsstimmen, dass Bach zunächst plante, die Kantate bereits nach Satz 6 mit einer Wiederholung des Eingangschores abzuschliessen. Damit hätte das Stück die altertümliche Form einer Concerto-Arie-Kantate erhalten, ein Modell, das Bach nur noch selten verwandte. Anders als in Weimar gehörte Palmarum in Leipzig zur sogenannten «stillen Zeit» (tempus clausum), in der es wie zwischen 1. Advent und Weihnachten keine Figuralmusik mit Instrumenten geben durfte. Bach hat das Stück deshalb wohl 1726 für den Festtag Mariae Verkündigung umgewidmet und damit Jesu Ankunft in Jerusalem in einem weltumspannenden Sinne überhöht.
An der Besetzung der einleitenden Sinfonia lässt sich erkennen, wie Bach seine Klangvorstellung entsprechend den ihm zur Verfügung stehenden Aufführungsräumen realisierte. Während die hier eingespielte Erstfassung für die kleine, als «Himmelsburg» jedoch hochaufragende Weimarer Schlosskapelle bestimmt war und als dialogische Oberstimmen über den gezupften Streichern je eine Blockflöte und eine Violine genügten, hat Bach für die grossen Leipziger Stadtkirchen eine Violine und eine Oboe hinzugefügt, um die Partien prägnanter zu machen. Die zarte und durchsichtige Kompositionsweise der Sinfonia setzt für die ganze Kantate einen verinnerlichten Ton: Die Ankunft Jesu in Jerusalem, die ja seiner Erniedrigung und Kreuzigung vorangeht, wird nicht als prachtvoller Einzug eines irdischen Monarchen inszeniert, sondern der König des Himmels nimmt seine Wohnstatt im Herzen der auf ihn wartenden Menschen. Diese demütige Haltung wird durch den geradlinig-naiven Klang der Blockflöte verstärkt, der auch den einleitenden Chorus prägt. Dieser ist als Da-capo-Chorarie mit kontrastierendem Mittelteil angelegt; die verwendete Technik einer Permutationsfuge, in der alle Stimmen wiederholt die Folge eines Themas und dreier festgehaltener Kontrapunkte durchlaufen, ist jedoch von bemerkenswerter Kunsthaftigkeit. Das anschliessende Rezitativ geht bereits nach wenigen Takten in ein Arioso über: Es ist Christus selbst, der hier von der Kreuz und Tod bringenden Ergebung in den Willen des Vatergottes spricht. In der folgenden Arie verwandelt sich der eben als Verkörperung des Heilandes agierende Bass in einen empathischen Kommentator dieses leidvollen Geschehens. Begleitet von einem schimmernden Streichersatz mit emsig arbeitender erster Violine hebt der Sänger wieder und wieder auf das «starke Lieben» ab, das Jesus erst zu seinem Blutopfer befähigte. Dass die Blockflöte nicht zufällig auf barocken Stillleben als Symbol der Trauer und Vergänglichkeit dargestellt wurde, lässt sich der folgenden Arie ablauschen. Im Sinne einer solchen «natura mortis» handelt es sich bei ihr um ein Stück Musik fast ausserhalb jeder Zeit. Über einem stockenden Bass intonieren Flöte und Singstimme einen aus absteigenden Linien bestehenden klagenden Dialog, der das Thema der Fügung in Gottes Ratschluss nun auch auf die gläubigen Menschen und ihr Verhältnis zu Christus anwendet, dem «Leben und Vermögen» zu weihen sind. Wie in einer barocken Lehenspyramide werden hier vom herrschenden Haupt bis zu den kleinsten Gliedern hierarchische Ordnungsvorstellungen reproduziert, wie sie einer Kirchenmusik im Kontext eines Fürstenhofes zweifellos gut zu Gesicht standen. Im emsigen Continuo-Ritornell der Tenorarie kann man das «Wohl und Weh» erkennen, das der Christ auf seiner beschwerlichen Reise durchleben muss. In den harschen «Kreuzige!»-Wendungen wird die Welt der unmittelbar bevorstehenden Passion mehr als nur angedeutet – die Identifizierung jedes einfachen Gläubigen mit Christi Opfergang stellt sich insofern als Leitidee der Kantate heraus. Die anschliessende Choralbearbeitung «Jesu, deine Passion, ist mir lauter Freude» greift diesen Gedanken in objektivierter Form auf; dass sie einen Meisterorganisten zum Kirchenkomponisten berufen hatten, dürfte den Weimarer Hofbeamten beim Hören dieses strengen Satzes deutlich geworden sein. Doch mochten Tonsetzer und Librettist ihr Werk nicht allzu verhalten beschliessen – vielmehr folgt ein abschliessender Chorus, der mit seiner Dreiteiligkeit, dem dominierenden Flötenklang und der imitierenden Schreibweise wie eine tänzerische Variante des Eingangschores wirkt. Kaum könnte man besser eine innere (Vor-)Freude beschreiben, die allein geistlicher Natur ist, als es dieser Satz trotz seiner beigemischten «Leidenstöne» vermag. Zugleich ist Bach hier hörbar auf dem Weg zur reifen Ensembleschreibweise seiner Brandenburgischen Konzerte.
In der Werkeinführung erhalten Sie in Begleitung von Pfarrer Karl Graf sowie Dirigent Rudolf Lutz wertvolle, vertiefende Einblicke in die Komposition. Bei der Reflexion über den Kantatentext betrachten Persönlichkeiten aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen den barocken Kantatentext aus heutiger und persönlicher Sicht. Hören und sehen Sie die Meinung aus Sicht des damaligen Referenten Gottfried Wagner.
Die Werkeinführung sowie das Konzert und die Reflexion durfte die J. S. Bach-Stiftung in der evang. Kirche in Trogen am 30.03.2007 zur Aufführung bringen.
Wir wünschen Ihnen viel Hör- und Sehgenuss.
Zum Beitrag auf bachipedia.org