Franz Welser-Möst im Interview
«Man soll nicht zurückschauen, sondern aus dem Gegebenen etwas machen.»
Franz Welser-Möst ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten Dirigenten Österreichs. Viele Gastdirigate führten ihn mit den grossen Orchestern in die ganze Welt. Von 1995 bis 2002 war er Musikdirektor des Opernhauses Zürich, wo er von September 2005 bis Sommer 2008 auch als Generalmusikdirektor verpflichtet war. Seit 2002 ist er Chefdirigent des Cleveland Orchestra.
Classicpoint.ch: Sie haben ursprünglich Geige und Komposition studiert. Nach einem schweren Autounfall 1978 mussten Sie jedoch Ihre Pläne, eine Karriere als Geiger anzustreben, begraben. Sie widmeten sich fortan ganz dem Dirigieren. Würden Sie heute tauschen wollen mit einem Sologeiger?
Nein, man soll nicht zurückschauen, sondern aus dem Gegebenen etwas machen.
Ihre ersten Verpflichtungen als Dirigent eines professionellen Orchesters führten Sie in die Schweiz nach Winterthur und Lausanne. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit?
Winterthur war eine tolle Zeit: das Musikkollegium hatte damals in einen noch nicht 30-Jährigen Vertrauen und liess mir freie Hand in Programmierung und Training des Orchesters. Ich erinnere mich an die wirklich schöne Aufbruchsstimmung in dieser traditionsreichen, alten und so an der Modernen interessierten Stadt. Viele meiner ersten musikalischen Begegnungen mit zeitgenössischer Musik stammen aus dieser Zeit. In Lausanne war ich "nur" 1. Gastdirigent und erinnere mich an viele spannende Proben und Aufführungen.
Wo und wann und mit welchen Programmen kann man Sie wieder in der Schweiz hören?
Diesen Sommer mit meinem Cleveland Orchester mit Béla Bartók und der Sinfonia eroica am Lucerne Festival.
Sie waren Generaldirektor des Opernhauses Zürich und später auch der Wiener Staatsoper. Wo sehen Sie die Unterschiede dieser beiden Opernhäuser?
Zürich war in der Zeit von Pereira ein Haus des musikalischen Aufbruchs und der Vielfalt. Er verführte die Stars dieser Zeit dieses Haus zu einer künstlerischen Heimat zu machen. In den 43 Premieren und zahllosen Aufführungen hatte ich die Chance noch mit Legenden der Operngeschichte wie Mirella Freni, Nicolaij Ghiaurov, Alfredo Kraus, um nur drei "Unsterbliche" zu nennen, zu arbeiten.
Wien hat viel weniger Premieren, weniger Proben, mehr Repertoire. Um in diesem Betrieb als Dirigent zu bestehen, muss man bereits grosse Erfahrung mitbringen.
Sie sind seit 2002 Chefdirigent beim Cleveland Orchestra. Was ist das Besondere an diesem Orchester?
Es fängt immer bei der Einstellung an. Ich kenne kein anderes Orchester, in dem jeder einzelne Musiker so phantastisch vorbereitet in die erste Probe kommt. Die NY Times hat uns letztes Jahr zum besten Orchester Amerikas erklärt. Das Orchester zeigt einen unglaublichen Stolz in seine Arbeit aber hat keine Arroganz. Es hat eine kammermusikalische Einstellung und wurde u.a. letztes Jahr von einem führenden Musikjournalisten Europas als "orchestra of angels", anlässlich einer Aufführung von Strauss' "Daphne", bezeichnet.
Welches Instrument im Orchester passt am besten zu Ihrem Charakter und warum?
Keine Ahnung, aber vielleicht das Cello. Ich habe aber nie über diese Frage nachgedacht.
Ist der Dirigent Franz Welser-Möst anders als der private Franz Welser-Möst?
Ja. Privatleben bezeichnet man nicht umsonst als solches.
Wie verschaffen Sie sich als Dirigent die Autorität vor dem Orchester?
Durch musikalischen Gestaltungswillen, großes Wissen im Detail und Ganzen.
Was sind für Sie die wichtigsten Voraussetzungen bei einem Orchester, damit Sie optimal zusammenarbeiten können?
Wiederum die richtige Einstellung zu Musik und unserem Beruf, instrumentale Könnerschaft und den Willen und die Bereitschaft, ein Werk neu zu entdecken.
Wo holen Sie sich den Ausgleich neben der Musik?
Meine Frau, Freunde, tägliches Yoga, Thai-Massage, Bücher, Kunst und – ganz wichtig – Natur (vor allem in der Form von Bergsteigen und Schneeschuhgehen).
Interview von Florian Schär | Classicpoint.ch | 1.7.2016
© Foto: Satoshi Aoyagi