Emmanuel Pahud im Interview
«Es ist für mich ein tolles Gleichgewicht.»
Das Reisen war von Geburt an ein wichtiger Bestandteil im Leben von Emmanuel Pahud. Sein Vater arbeitete für ein amerikanisches Unternehmen, und die Familie zog während seiner Kindheit wiederholt um. Dies sollte jedoch nur Pahuds internationale Perspektive für seine Zukunft prägen. Nur sechs Wochen nach Pahuds Geburt zogen seine Eltern für ein Jahr nach Bagdad. Als er 1 Jahr alt war, zogen sie erneut um, und zwar nach Paris, wo Emmanuels jüngerer Bruder geboren wurde. Im Jahr 1972 zogen sie dann für zwei Jahre nach Madrid und 1974 schließlich für vier Jahre nach Rom. In ihrem Wohnhaus in Rom lebte die schweizerisch-französische Familie Binet, deren vier Kinder Musikinstrumente spielten. Der Vater (François) war ein Flötist, der in Zürich und Paris studierte, aber in späteren Jahren nicht mehr auftrat. Im Alter von vier Jahren hörte Pahud zum ersten Mal die Flöte. Als der älteste Sohn Philippe das Flötenkonzert Nr. 1 (Mozart) KV 313 in G-Dur spielte, war dies der Startschuss für ein bemerkenswertes Kapitel in Pahuds Leben.
Pahud besuchte das Conservatoire de Paris (Conservatoire National Supérieur de Musique de Paris) in Frankreich und studierte bei Michel Debost, Alain Marion, Pierre Artaud und Christian Larde. Während seines Studiums gewann er zwei große Wettbewerbe, einen in Duino 1988 und den anderen in Kobe 1989. Im Jahr 1988 gewann Emmanuel außerdem den 2. Preis beim Internationalen Scheveningen-Musikwettbewerb in Scheveningen, Niederlande. Als Folge dieser Wettbewerbserfolge wurde Pahud zum Soloflötisten des Radio-Sinfonieorchesters Basel unter der Leitung von Nello Santi ernannt. Diese Stelle erhielt er 1989, während er sein Studium in Paris absolvierte. Er trat 1992 aus dem Orchester aus. Pahud war auch Soloflötist bei den Münchner Philharmonikern unter Sergiu Celibidache. Pahud schloss sein Studium am Conservatoire 1990 im Alter von 20 Jahren mit dem Ersten Preis (Premier Prix) ab. In den folgenden zwei Jahren setzte er seine Studien in Stil und Interpretation bei einem der grössten Flötisten Frankreichs, dem Schweizer Aurèle Nicolet, fort, der sich als sein Nachbar entpuppte. 1992 bereitete Nicolet Pahud in einem umfangreichen zehntägigen Probespiel sowohl auf den Internationalen Musikwettbewerb von Genf (le Concours International de Genève) im September desselben Jahres als auch auf das Probespiel für die Stelle des Soloflötisten der Berliner Philharmoniker (BPO) im Oktober vor. Er erklärt, dass er sowohl seinen ersten Preis beim Concours International de Genève als auch seine Ernennung zum Soloflötisten im Alter von 22 Jahren durch den BPO-Dirigenten Claudio Abbado seinen Erfahrungen mit Nicolet verdankt.
Als Kind sind Sie sehr oft umgezogen. Hatte das irgendeinen Einfluss auf Ihr späteres Leben als Musiker oder auf gewisse Entscheidungen?
Ich habe noch nicht darüber nachgedacht und sehe grundsätzlich auch keine Verbindung. Natürlich prägen einem die Erfahrungen der Kindheit, und ich bin durch das Reisen mit der Familie früh in Kontakt mit der Musik gekommen. Vielleicht hätte ich jedoch trotzdem früher oder später die Musik für mich entdeckt. Doch auf diese Weise bin ich bereits mit 5 Jahren über unseren Nachbarn in Rom in den Kontakt mit der Flöte gekommen. Als Erwachsener reise ich nun viel, da hilft meine Kindheit sicherlich auch ein Stück und hat einen positiven Einfluss auf meine Wahrnehmung.
Sie waren mit 22 Jahren als jüngstes Mitglied Solo-Flötist der Berliner Philharmoniker unter Claudio Abbado. Können Sie uns aus dieser Zeit ein bisschen erzählen?
Vor allem war es für alle eine spannende Zeit, die Stadt war nach dem Fall der Mauer im Umbruch. Eine der wenigen Städte in Europa, welche noch von innen wachsen und sich verändern konnte. Anderseits war im Orchester die Nachkriegsgeneration ins Rentenalter gekommen und es kam eine neue Welle an Musikern, alle aus verschiedenen Ecken Europas. Claudio Abbado hatte hier die Aufgabe, diese Kräfte zu bündeln und uns Musiker zusammenzuführen.
Sie unterrichten heute nur noch ganz wenig?
Ja, ich habe mit Konzertreisen als Solist, im Orchester und in der Kammermusik kaum Zeit zum Unterrichten. Durch Corona ist das alles anders geworden, weniger Touren, weniger Reisen. Dadurch habe ich auch ein wenig mehr Zeit in Berlin bekommen. Wir haben eine Orchesterakademie und unterrichten dort zwei Studenten mit der Flöte. Sie werden von und mit uns auf Wettbewerbe und Auftritte vorbereitet. Dazu gibt es für mich die Chance, an der Barenboim-Said Akademie die Ensemblemusik und die Holz- und Blechbläser zu unterrichten.
Was machen Sie am liebsten – Solist, Kammermusik, Orchester?
Mir gefällt alles und deshalb probiere ich, alles abwechselnd unter den Hut zu bringen. Die Musik im Orchester packt mich stets, doch bei einem Solokonzert, ist man wiederum selbst für die Musik zuständig. Ich finde das ergänzt sich ganz gut. Im Orchester überwiegt das Romantische, in der Kammermusik wiederum der Barock und die moderne Musik. Da gibt es einige Möglichkeiten, sich das Beste aus beiden Welten rauszupicken. Es ist für mich auf jeden Fall ein tolles Gleichgewicht.
Welche Komponisten und Kompositionen gefallen Ihnen am besten?
Als Kind bin ich durch Mozart zur Musik gekommen. Diese Art von Musik nahm mich schnell mit, Wagner hatte auch eine sehr prägende Funktion. Ab ca. 30 hat sich mein Geschmack ein bisschen gewandelt und geht nun mehr in Richtung Ravel oder Stravinsky. Aber Mozart und Bach sind so monumental, das ist für mich ein Luxus, mich damit auseinandersetzen zu dürfen.
Haben Sie auch schon mal komponiert?
Nein, ich habe ab und zu bei Projekten improvisiert. Aber am Schreibtisch zu sitzen, dazu habe ich weder den Drang noch die Zeit.
Wie stehen Sie zu zeitgenössischer Musik?
Ich arbeite gerne mit Komponisten der Moderne. So erhalte ich zum Beispiel jedes Jahr eine Flötenkomposition, welche ich einstudieren darf. Ich bekomme aber auch viele neue Kompositionen für Solo- oder Kammermusik. Wenn ich mit heutigen Komponisten spreche und vertraut werden mit ihrer Sicht und ihren Gedankengängen, verstehe ich dadurch auch viel besser die älteren Kompositionen.
Wieviel üben Sie heute noch?
Ich versuche immer ein paar Stunden pro Tag zu üben. Hier ist aber das reine Üben, alleine ohne andere Musiker, gemeint. Das ist etwas, das sehr wichtig ist für mich. Und glücklicherweise habe ich hierfür seit Corona mehr Zeit.
Haben Sie Ziele, Visionen?
Ja, ich möchte gerne diese komplette Bildung der Musik für Flöte weiterführen. Dazu habe ich aktuell noch ca. 20 Projekte. Diese Sachen schweben mir vor. Andernseits möchte ich meine Erfahrungen mit der nächsten Generation teilen. Ich arbeite nun vermehrt mit Musikhochschulen zusammen, dort kann ich viel zeigen. Wenn man aber mehr Zeit den anderen widmet, so hat man weniger für sich selbst.
Haben Sie neben der Musik noch Leidenschaften?
Früher hätte ich gesagt Reisen, andere Kulturen erleben, das ist natürlich sehr bereichernd. Doch man kann das auch mit Büchern machen, es gibt so viele Bücher über andere Kulturen und Erkenntnisse. Diese zu verstehen, das ist glaube ich sehr wichtig.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 23.12.2021