Christus, der ist mein Leben
«Christus, der ist mein Leben»
BWV 95 zum 16. Sonntag nach Trinitatis
Als Fokus des Monats Oktober präsentieren wir Ihnen die Kantate BWV 95 «Christus, der ist mein Leben».
Erstmals aufgeführt am 12. September 1723, kann «Christus, der ist mein Leben» als experimenteller Vorläufer von Bachs Choralkantaten-Jahrgang von 1724/25 angesehen werden. Anders als die auf die Deutung eines einzigen Kirchenliedes konzentrierten Kantaten dieses Langzeitprojektes bezieht das Libretto von BWV 95 gleich vier Choräle ein, was ihm trotz der Beziehung zum von der Auferweckung des Jünglings zu Nain redenden Evangelium des 16. Sonntags nach Trinitatis Züge einer Begräbnismusik verleiht. Zudem steckt diese von der Besetzung und Ausdehnung her eher unprätentiöse Kantate voller reizvoller Ideen und innovativer Lösungen.
Auf dem Hintergrund der Evangelienlesung von der Auferweckung des Jünglings zu Nain (Lukas 7, 11–17) entfaltet der unbekannte Dichter Gedanken zu Sterben, Tod und Auferstehen. Martin Petzoldt wies in seinem Kommentar darauf hin, dass die Todesstunde für den Glaubenden den Charakter der ersehnten Erlösung habe. Die Sehnsucht richte sich jedoch nicht auf den Tod, sondern auf die Nähe zu Jesus Christus. Ebenso wenig handle es sich um Weltflucht, sondern um das Ablegen des falschen Scheins dieser Welt. Das Libretto ist mit nur einer Da-capo-Arie bei vier Choraltexten ungewöhnlich aufgebaut, wobei der Einschub etlicher Liedstrophen (mit teils verändertem Wortlaut) auf Vorbilder von Bachs Amtsvorgänger Johann Schelle (1648–1701) zurückgehen mag. Zugleich spiegelt sich darin das in der frühen Neuzeit verbreitete Absingen von Sterbeliedern am Totenbett oder unter dem Galgen. Aus dieser Vorlage formt Bach eine unkonventionelle Anlage, die den Choralgesang in eine predigthafte Rezitativfolge einbaut, die durch die betrachtende Arie gekrönt wird.
In der Werkeinführung erhalten Sie in Begleitung von Pfarrer Karl Graf sowie von Dirigent Rudolf Lutz wertvolle, vertiefende Einblicke in die Komposition. In den Reflexionen betrachten Persönlichkeiten aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen die barocken Kantaten und ihre Texte aus heutiger und persönlicher Sicht. Hören, sehen und lesen Sie vorliegend zu BWV 95 die Meinung aus Sicht von Gian Domenico Borasio.
Die Werkeinführung sowie das Konzert und die Reflexion durfte die J. S. Bach-Stiftung in der evang. Kirche in Trogen am 18. September 2015 zur Aufführung bringen.
Wir wünschen Ihnen viel Hör-, Seh- und Lesegenuss.
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