Angela Gheorghiu im Interview
« Diva zu sein ist für mich eine Ehre. »
Angela Gheorghiu, geboren in der rumänischen Kleinstadt Adjud, erhielt ihre Gesangsausbildung an der Musikakademie Bukarest. Sie gab ihr Debüt 1992 am Royal Opera House Covent Garden. Seither ist sie zahlreichen internationalen Opernhäusern und Konzertsälen gefragter Gast. Engagements führten sie u.a. nach New York, London, Paris, Venedig, Brüssel, Salzburg, Berlin, Mailand, Rom, Barcelona, Amsterdam, Moskau, Tokio, Chicago, Los Angeles und San Francisco. Im Zentrum ihres Repertoires stehen Partien wie Violetta (La traviata), Nedda (Pagliacci), Juliette (Romeo et Juliette), Marguerite (Faust), Maria Boccanegra (Simon Boccanegra), Mimì (La bohème) sowie die Titelpartien in Puccinis La rondine und Tosca.
Classicpoint.net: Ihre Eltern haben mit Musik nichts zu tun. Trotzdem sind Sie und Ihre Schwester beide brillante Musikerinnen geworden. Wie hat sich das ergeben?
Ich war sehr jung. Vor meinem Kindergarten haben meine Schwester und ich bereits gesungen. Ich kann mich nicht erinnern, etwas mit mehr Vergnügen und grösserer Liebe gemacht zu haben! Im Kindergarten habe ich das erste richtige Lied gesungen: Guten Abend, Gut Nacht von Brahms. Ich habe auf Rumänisch und Deutsch gesungen. Mein Vater war ein Lokomotivmechaniker, meine Mutter Näherin, und in der Tat war keiner aus unserer Familie Musiker. Den einzigen Kontakt mit der Musik hatte ich über das Fernsehen mit Leonard Bernsteins Aufführungen. Andere Aufnahmen hatten wir nicht. Jeder, der mir zuhörte, war sehr gerührt und ich habe das geliebt. Eltern, Familie, Verwandte, Freunde, Nachbarn, Lehrer – alle ermutigten mich, unterstützten mich und sagten mir ständig, dass ich Musik studieren müsse und eine Opernsängerin sein werde. So ging ich im Alter von 14 Jahren zur Musikhochschule in Bukarest und später zum Konservatorium. Ich hatte die Schule gerne, aber fühlte mich mit 18 Jahren gut genug ausgebildet. Seitdem habe ich auf keinen Rat mehr gehört und alles, was ich bisher gemacht habe, verdanke ich meiner Gesangslehrerin Mia Barbu. Ich glaube nicht, dass es ein Rezept gibt, aber durch Talent, viel Arbeit, Ausdauer, Intelligenz, musikalischen Instinkt und Opfer kann jeder ein grossartiger Sänger werden.
Nach der politischen Wende in Rumänien verliessen Sie 1990 Ihre Heimat und hatten in London am Royal Opera House erste Auftritte. Wie haben Sie diesen Umzug in Erinnerung?
Ich habe Rumänien nie endgültig verlassen, ich habe dort Familie und Freunde. 1992 debütierte ich beim Royal Opera House mit Mimì in La Bohème und Zerlina in Don Giovanni. Meine Karriere hat noch nie einen Festvertrag beinhaltet, ich wusste von Anfang an, was ich zu tun habe, und ich wollte immer eine internationale Künstlerin auf den grössten und wichtigsten Bühnen der Welt sein, ohne an einen Ort oder eine Oper "gebunden" zu sein. Solche Engagements waren und sind immer noch üblich, für einige Jahre in einem einzigen Theater angestellt zu sein. Aber das hätte meine Debüts auf den anderen Bühnen verzögert, und ich hätte erst viel später eine internationale Karriere starten können. Dieser "Umzug" – das Wort ist nicht sehr passend – war für mich normal, nämlich mein natürlicher Weg zur lyrischen Künstlerkarriere, für die ich bereit war. Ausserdem halfen mir Ausdauer, Talent und Arbeit auf diesem Weg. Ich wusste immer, was ich zu tun hatte, und ich traf alle Entscheidungen mit viel Weisheit.
Wie ist Ihr aktuelles Verhältnis zu Ihrer Heimat?
Ich habe heute eine duale Beziehung zu Rumänien. Ich liebe mein Land sehr, ich habe Familie und meine Freunde dort, aber gleichzeitig lebe ich nicht gern in Rumänien. Fast 30 Jahre nach dem sogenannten Zusammenbruch des Kommunismus sind die Spuren lebendiger als je zuvor. Was ich in den letzten zwei Jahren sehe, erschreckt mich. Es wurden keine Krankenhäuser gebaut und Autobahnen fehlen etc. Rumänien ist heute kein Land mit einer sicheren Zukunft und braucht noch Zeit, um das Niveau der zivilisierten Ländern der EU zu erreichen. Ich warte seit so vielen Jahren, dass ein optimaler Konzertsaal gebaut wird. Es gibt nur einen Saal, in dem kommunistische Parteikongresse stattfanden, der für klassische Musik ungeeignet ist, da Orchesterkonzerte einen richtigen Klangkörper brauchen. Das ist gottlos. Wir haben nur das rumänische Athenäum, das in der Zeit der Könige von Rumänien gebaut wurde. Das ist das Juwel der Stadt Bukarest. Nach 1990 versprachen mir alle, Bürgermeister, Premierminister und Präsidenten, einen neuen Konzertsaal mit internationalen Standards zu bauen, und seitdem hat niemand etwas getan.
Nach fast 30 Jahren Karriere auf den wichtigsten Bühnen der Welt, bin ich, glaube ich, der einzige internationale Künstler der Musikgeschichte, der noch nicht mit einer Oper in seinem eigenen Land debütiert hat! Ich wurde noch nie eingeladen. Ich hatte nur ein paar Konzerte, ich glaube, ich kann sie an meinen Fingern abzählen, ehrenamtlich.
In Rumänien ist die Mentalität anders. Als Künstler rumänischer Herkunft wird man bis heute nicht für seinen wahren, internationalen Wert anerkannt. Ganz im Gegenteil: man muss zu einem viel niedrigeren Preis oder sogar kostenlos singen. Die Leute, die die staatlichen Institutionen führen, glauben, es wäre unverfroren, die gleichen Tarife wie irgendein Kollege einer anderen Nationalität zu fordern.
Das letzte Mal, als ich zu einem Konzert in Bukarest eingeladen wurde und normal bezahlt wurde, wie jeder ausländische Kollege meiner Bekanntheit, wurde ich in den rumänischen Medien angefeindet. Selbst der Bürgermeister von Bukarest machte mit.
Dazu gibt es viel zu sagen, ich hätte gerne mehr Macht, um etwas zu ändern, aber ich kann nur stolz darauf sein, dass ich Rumänin bin und weiss, dass das rumänische Volk talentiert, fleissig, aber sehr offen ist. Es gibt keinen grossen rumänischen Künstler mit internationaler Bekanntheit wie: Cioran, Brancusi, Eiade, Enescu, Ionescu, Darcle, Zeani, Celibidache, die in den letzten 75 Jahren nicht von den Politikern beschuldigt oder gehasst wurden. Bis heute ist das geblieben. Ich hoffe, dass diese Ungerechtigkeit ein Ende findet.
Überall auf der Welt bin ich Angela Gheorghiu aus Rumänien. Ich wünsche mir, dass die Werte in Rumänien wirklich respektiert und festgelegt werden, was wir sind und was wir tun. Wenn andere Länder das korrekt machen können, warum zwingen sich die rumänischen Politiker und die Medien nicht, ihre Mentalität zu ändern und zu sehen, dass man keine Angst vor den Künstlern haben muss? Wir sind für die Menschen und für die Identität Rumäniens enorm wichtig. Kultur ist der Pass einer Nation.
Sie singen auch gerne rumänische Lieder. Was zeichnet die rumänische Musik aus?
Ich singe immer gerne rumänische Lieder. Ich singe mindestens ein rumänisches Lied in jedem Konzert oder Recital. Es ist schwer zu sagen, was charakteristisch ist in der rumänischen Musik. Wir könnten ein Buch darüber schreiben. Die rumänische Musik vereint viele Einflüsse, von Französisch bis Türkisch oder Ungarisch. Sie ist von Region zu Region sehr unterschiedlich. Ich kann jedoch sagen, dass die rumänische Musik einen besonderen Rhythmus hat, für manche klingt sie exotisch, für andere klingt sie vielleicht nostalgisch. Das Publikum ist fasziniert zu hören, wie ich auf Rumänisch singe.
Der Dirigent Șir Georg Solti hat offenbar mal nach einer Probe über Sie folgendes gesagt: "Mir kamen die Tränen. Ich musste hinausgehen. Das Mädel ist wunderbar. Sie kann alles." Wie war Ihre Beziehung zu ihm?
Für mich bleibt die Beziehung zu Georg Solti eine der schönsten Erfahrungen. Trotz des grossen Altersunterschieds haben wir beide eigentlich mit der Traviata angefangen – ich hatte die Rolle von Violetta, und er hat diese Oper zum ersten Mal dirigiert. Die Beziehung zu ihm war von Anfang an gleichgestellt. Ich fühlte mich nie bevormundet, im Gegenteil, wir waren von Anfang an Kollegen. Er hat mir angeboten, ihn „George“ zu nennen. Seine starken Emotionen sind seitdem in meinem Kopf geblieben! Bei ihm Zuhause traf ich grossartige britische Persönlichkeiten und grossartige Schauspieler. Mit ihm hatte ich die schönsten Erinnerungen. Während der Proben im Royal Opera House liess er einmal den Assistenten dirigieren, während er in alle Ecken des Theaters ging, um zu hören, wie meine Stimme insgesamt und überall klingt, um das Orchester und den Klang meiner Stimme anzupassen. Für mich bleibt es die einzige Erfahrung dieser Art, und ich bin froh, dass es sie gibt. Jeder wusste, dass diese Traviata Geschichte schreiben wird und Georg Solti auch, mehr als jeder andere. Und so war es auch. Ich werde für immer für seine Freundschaft und Anerkennung meines Talents dankbar sein. Er kämpfte dafür, dass die Aufführung live bei der BBC übertragen wurde und hat das herkömmliche Fernsehprogramm dafür unterbrochen. Das erste Mal in der Geschichte. Er wollte, dass wir auch Kollegen bei DECCA sind. Er ist der Künstler, der mich in meiner Karriere mit Ehrlichkeit, Bewunderung und Respekt unterstützt hat.
Sie haben auch bei Verfilmungen mitgewirkt. Am bekanntesten ist wohl die Titelrolle in der Verfilmung von Tosca, unter der Regie von Benoît Jacquot. Wie haben Sie diese Zusammenarbeit erlebt?
Es war eine sehr schöne Zusammenarbeit. Ich habe die Traviata in Paris gesungen. Nach einer Aufführung gratulierte mir Toscan du Plantier. Er hat mich mit den Worten "You are Tosca!" begrüsst. Ich hatte an diesem Abend eine sehr gute Violetta gesungen. Im dritten Akt bekam ich ein rotes Kleid. Dieses Kleid und meine Anwesenheit haben ihn genug überzeugt, um mir die Rolle von Tosca in seinem Film mit der Regie von Benoît Jacquot zu geben. Es war früher als ich diese in meinem Repertoire eingeplant habe. Scrapia wurde bereits von Ruggero Raimondi besetzt, und ich schlug Roberto Alagna für Mario Cavaradossi und Antonio Pappano als Dirigenten vor. Er war damals in Brüssel fest angestellt und niemand kannte ihn. Sie wollten einen berühmten Dirigenten, aber ich bestand darauf. Ich bin sehr stolz auf diesen Film. Opernfilme sind heute eine Seltenheit. Die Erfahrung dieses Films war grossartig für mich. Wir haben den Film auf den Filmfestival in Venedig lanciert und dann auf der ganzen Welt gezeigt. Der Film hebt Charaktere hervor, insbesondere durch die sehr suggestive Wiedergabe von Gesichtsausdrücken. Es war eine grosse Freude, auf höchstem Niveau und mit einem grossartigen Regisseur zu arbeiten.
Würden Sie sich als Diva bezeichnen?
Ich lasse es die anderen tun! Ich bedanke mich bei denen, die mich als „Diva“ bezeichnen. Ich habe absolut kein Problem mit diesem Wort, ganz im Gegenteil, es ehrt mich. „Diva“ bedeutet für mich eine Person einer anderen Dimension, schwer zu berühren, die selbst durch ihre Anwesenheit und natürlich durch ihr Talent eine sehr starke Emotion ausstrahlt. Mein Freund, der grosse Komponist Vangelis sagt, dass ich eine Diva bin, denn wenn er mich hört und mich ansieht, dann steht die Zeit still!
Heute hat das Wort seinen Charme verloren, alle sind „Divas“ und sogar die Männer nennt man "Diven" ... aber für mich ist das Wort "Diva" oder "the last reigning diva", "the ultimate diva“ usw. Ausdrücke, die mich glücklich machen, mich ehren und sogar motivieren.
Sie waren mit Roberto Alagna zusammen ein Dreamteam. Hat letztlich der gegenseitige Erfolg zur Trennung geführt?
Auf der Bühne gibt es tatsächlich einen Zauber der Stimmen, etwas Besonderes. Daher dieses "Dreamteam". Keiner von uns wurde vom anderen mitgerissen, aber wir haben beide durch unsere Stimmen im Duett einzigartige Momente erschaffen. Nicht der persönliche Erfolg hat zur Trennung geführt, sondern persönliche Probleme, die eigentlich nichts mit Erfolg zu tun haben. Jeder von uns hatte schon vor der Hochzeit Erfolg, wir waren beide jung und bereits ein Begriff in der Arbeitswelt. Erfolg ist eins, persönliches Leben etwas anderes. Ich habe durchgehalten, um meine Karriere weiter auszubauen, aber es war nicht immer einfach. Zu starke Persönlichkeiten, das ist die Wahrheit. Für jeden von uns geht es weiter.
Welcher Tenor passt heute stimmlich am besten zu Ihnen?
Schwer zu beantworten. Dann sage ich und wiederhole es, dass ich kein Problem damit habe, mit Roberto zu singen, das Publikum wünscht sich das.... Und warum können wir nicht Profis sein und es tun, wenn es eine solche Gelegenheit gibt? Ansonsten denke ich, dass mit den Tenören Jonas Kaufmann, Vittorio Grigolo oder Joseph Calleja eine Stimm-"Chemie" besteht.
Sie sind sehr leidenschaftlich und kompromisslos. Gibt es Dinge, die Sie rückblickend anders machen würden?
Ich bin so wie ich bin und so war ich immer. Ich denke nie darüber nach, was gewesen wäre, wenn... Ich habe diese Gedanken nicht und lebe mein Leben stark in der Gegenwart, sowohl beruflich als auch persönlich. Ich bin ein ehrlicher Mensch und Künstler, der immer Dinge beim Namen nennt, auch wenn ich manchmal riskiere, jemanden mit der Wahrheit zu stören. Ich kann nicht anders sein und ich habe keinen Grund dafür. Vielleicht hat mir diese Aufrichtigkeit manchmal geschadet. Ich habe in der Vergangenheit bei vielen Produktionsanfragen "Nein" gesagt, aber das war so, weil ich die Musik, die Komponisten und Librettisten respektiere. Ich kann das Werk eines Genies, das durch meine Interpretation so viele Menschen berühren kann, nicht lächerlich machen. Es ist, als wenn ich jetzt einen Pinsel in die Hand nehmen und einen Caravaggio übermalen würde. Wäre das in Ordnung?
Haben Sie Rituale bei Konzerten, vorher oder nachher?
Das habe ich natürlich, ja. Ich denke, alle Künstler haben das. Ich kann sie nicht alle verraten, aber ich kann sagen, dass ich immer am Tag vor der Aufführung versuche, überhaupt nicht zu sprechen, ich ruhe mich aus. Ich schütze meine Stimme. Ich erbringe viele Opfer, oft sehe ich nur das Flugzeug und das Hotelzimmer vor meinen Augen, ich darf keine Erkältung oder Krankheit riskieren ... und ich akzeptiere keinen Rat, ich ziehe es vor, authentisch in meinem Erfolg, aber auch in meinen Fehlern, wenn ich solche mache, zu sein. Ich folge niemandem und habe kein Vorbild. So bin ich und so habe ich meine Karriere aufgebaut. Ich kann nicht anders.
Gibt es etwas, wonach Sie noch nie gefragt worden sind und Sie gerne beantworten würden?
Ja, da gibt es die Frage: Wann werde ich wieder bei der Metroplitan singen?
Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 4.2.2019
© Bild: Ionut Macri