Amit Peled im Interview
« Niemand isst drei Hauptgänge. »
Der Grammy-nominierte Cellist, Dirigent und Pädagoge Amit Peled genießt eine geschäftige und dynamische Karriere vor weltweitem Publikum. Der Gründer und künstlerische Leiter der Mount Vernon Virtuosi kombiniert eine wachsende Dirigierverpflichtung nicht nur mit einer erfolgreichen Solistenkarriere auf dem ex-Casals Goffriller-Cello von 1733, welches Marta Casals Istomin ihm persönlich überreichte, sondern auch mit einer Professur am Peabody Institute der Johns Hopkins University in Baltimore, USA. In seinem kontinuierlichen Streben, klassische Musik zugänglicher zu machen, veröffentlichte er jüngst das Kinderbuch „Ein Cello namens Pablo“ (A Cello Named Pablo) sowie das Cellotechnik-Arbeitsbuch „Die erste Stunde“ (The First Hour).
Classicpoint.net: Wie sind Sie zum Cello gekommen?
Ich bin in einem kleinen Kibbuz in Israel aufgewachsen und in der vierten Klasse wurden wir alle «gezwungen», ein Instrument zu erlernen. Als Basketballspieler war das das Letzte, was ich tun wollte. Zum Glück war da ein Mädchen, das vier Jahre älter war als ich, das Cello gespielt hat. Ich hatte mich in sie verliebt und dachte mir, dass es nur möglich sei, ihr näher zu kommen, wenn ich das gleiche Instrument spielen würde wie sie, und dass wir dann eines Tages heiraten würden. Davon ist selbstverständlich nichts passiert, ausser dass ich jetzt Cellist bin!
Sie haben zu Beginn mit Bernhard Greenhouse des Beaux Arts Trio studiert. Mögen Sie uns davon erzählen?
Seit meiner Jugend in Israel war es mein Traum, Greenhouse zu treffen und seinen legendären Klang zu hören. Zusammen mit seinem Lehrer Pablo Casals hat kein Cellist meinen Klang so sehr beeinflusst wie Greenhouse. Als ich dann die Chance erhielt, neben ihm in seinem pittoresken Seniorendorf in Cape Cod zu wohnen und drei Jahre lang intensiv mit ihm zu studieren, ergriff ich sie mit beiden Händen. Es war die bedeutsamste Ausbildung für mich als Musiker und als Mensch. Greenhouse selbst wurde auf diese Art von Casals betreut in den 1940er-Jahren, es war für ihn selbstverständlich, [diese Betreuung] an jüngere Musiker zurückzugeben.
Wieso kamen Sie danach nach Deutschland?
Der erste Grund war meine damalige Freundin, jetzt Ehefrau, Julia, die in Berlin studierte. Als ich aber in dieses künstlerische Zentrum in Europa zog, hatte ich das Glück, eingeladen zu werden, um mit dem russischen Cellisten Boris Pergamenschikow zu studieren. Die zwei Jahre mit ihm waren die «Kirsche auf der Sahnehaube» meiner Ausbildung. In Boris habe ich die einzigartige Kombination aus einem sehr speziellen Menschen und wahrlich phänomenalen Cellisten gefunden und der seltenen Möglichkeit, alle diese Qualitäten in einem Lehrer teilen zu können.
Sie haben früh mit dem Unterrichten begonnen. Was reizt Sie daran?
Ich hatte so viele wundervolle Mentoren, da war es für mich selbstverständlich und auch sehr wichtig, all mein Wissen, das ich über die Jahre von meinen Lehrern erhalten habe, weiterzugeben, kombiniert mit meiner eigenen Art, mit Schülern umzugehen. Wie Janos Starker gesagt hat: «Ich kann nicht spielen, ohne zu lehren, und ich kann nicht lehren, ohne zu spielen.» Das verkörpert, wer ich als Musiker wirklich bin.
Sie spielen eines der weltberühmtesten Instrumente, das Gofriller Cello von Pablo Casals. Wie haben Sie dieses Instrument erhalten?
Vor etwa sieben Jahren spielte ich für Frau Casals, die in Ihren Achtzigern war zu der Zeit. Es war eine gute Möglichkeit sie kennenzulernen und ich war sehr dankbar, diese Gelegenheit zu erhalten. Ich begann mit Bach, und es verwandelte sich in eine Lektion. Sie gab mir sehr viele Anmerkungen und bat mich, weiterzuspielen. Ich spielte Dvořák, Brahms und mehr. Sie sagte mir, sie habe ihre Ohren nicht verschlossen, als ich spielte (sie sagte, das mache sie oft, wenn sie jüngeren Spielern zuhöre). Nach einer Stunde schlug sie vor, dass wir ein Glas Wein zusammen trinken. Sie sagte mir, dass sie Casals Cello habe, und lud mich ein, ein anderes Mal zurückzukommen, um es zu spielen. Etwa zwei Monate später kam ich zurück, um dieses unglaubliche Gofriller von Pablo Casals zu spielen. Es war, wie wenn man eine alte Person, die friedlich schläft, wecken würde. Das Cello war zu Beginn nicht sehr reaktionsstark, aber ich war im Himmel: Ich durfte das Cello meines Helden berühren! Ein paar Wochen später lieh sie mir dieses Instrument, damit ich es mit den Menschen auf der ganzen Welt teilen kann.
Hatten Sie schon Albträume, dass dem Instrument etwas passieren könnte?
Nein, letztendlich ist ein Cello ein Werkzeug und als solches muss man damit arbeiten. Nach einer kurzen Zeit ist das Cello ein Teil von mir geworden und als solchen habe ich ihm seither Sorge getragen.
Sie waren ein vielversprechendes Basketball-Talent und mussten sich zwischen einer professionellen Basketball-Karriere und einer Karriere als Musiker entscheiden. Was war für Sie zuletzt der entscheidende Faktor?
Im Kibbuz in Israel habe ich die meiste Zeit draussen mit Sport machen verbracht, Basketball wurde bald zur zweiten Natur für mich. Ich war sehr gut und habe eine Zukunft als Profi gesehen. Doch das Schicksal hatte einen anderen Plan: Mein Lehrer sagte mir, dass ich mich für eines der beiden entscheiden müsse, und ich entschied mich für das Cello, ohne zu wissen, dass ich eines Tages 1,95m gross sein würde!
Wenn Sie zurückschauen, würden Sie sich gleich entscheiden?
Wahrscheinlich ja, aber mit der Perspektive, die ich jetzt nach vielen Jahren habe, weiss ich, dass diese Entscheidung für mich gefällt wurde, von Kräften die mächtiger sind als ich. Man könnte es Schicksal nennen.
Wie gehen Sie heute Ihrer Leidenschaft für Sport nach?
Ich schaue mit meinen Kindern so viel NBA wie möglich, ab und zu gehen wir auch zu NBA-Spielen, und natürlich bin ich grosser Fan von unserem lokalen Team, den Baltimore Ravens, geworden.
Sie haben bereits versucht, diese zwei Welten in Projekten zu vereinen, können Sie uns dazu näheres erzählen?
Ja, ich habe schon mehrere Konzert-Vorlesungen abgehalten, in denen ich die Verbindung von Körper und Geist aufgezeigt habe und den Kommunikationsaspekt, den man sowohl fürs Basketballspielen als auch für das Zusammenspiel mit anderen Musikern braucht. Von der grossen Differenz des Gehalts mal abgesehen…
Ihnen ist es sehr wichtig, die klassische Musik einem grossen Publikum zugänglich zu machen. Was sind Ihre Aspirationen?
Das ist etwas, worüber ich oft nachdenke, und ich habe bisher zwei Vorgehensweisen für mich gefunden. Zum einen spreche ich mit meinem Publikum während des Konzerts. Ich stelle die Stücke vor, die ich spiele, erzähle Anekdoten und trete mit dem Publikum in Verbindung durch aktuelle lokale Events.
Ausserdem versuche ich, das Programm etwas aufzulockern. Es ist wie ein gutes Abendessen: Man hat eine Vorspeise, den Hauptgang und ein Dessert. Niemand isst drei Hauptgänge, das wäre viel zu einseitig und schwer. Das gleiche gilt für Konzertprogramme: Drei grosse Sonaten zu spielen ist zu viel, deshalb spiele ich ein grosses Stück und umgebe es mit kleineren, unterhaltsamen Stücken.
Ich habe auch ein Kinderbuch herausgegeben, «Ein Cello namens Pablo» und was ich am meisten daran liebe, ist, es Kindern vorzulesen. Das habe ich schon in ein paar Schulen gemacht und es ist wundervoll zu sehen, wie sie sich daran erfreuen, die Geschichte zu hören und dann auch das Cello zu sehen. Vor zwei Wochen habe ich in einer Schule in Seattle gespielt und eines der Kinder fragte mich: «Ist Pablo wirklich lebendig?» Und ich sagte: «Natürlich ist er das! Ich glaube, dass er lebt, was glaubst du?» Und er sagte: «Ja, er lebt!» Das war fantastisch für mich!
Was sind Ihre zukünftigen Projekte?
Nach zwanzig Jahren intensivem Cellospielen und Reisen habe ich eine alte Leidenschaft von mir wieder zum Leben erweckt, das Dirigieren. So kann ich meiner Gemeinschaft etwas zurück geben und auch eine grössere Menge an Musikern in meinem Orchester ausbilden. Die Mount Vernon Virtuosi in Maryland zu gründen war eine der grössten musikalischen Freuden meiner Karriere und ich freue mich darauf, meine Solo-Karriere mehr und mehr mit meinem Dirigenten-Leben zu verbinden.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 1.4.2019