Stefan Temmingh im Interview
« Als Künstler zählt nur eines: Absolute Ehrlichkeit. »
Stefan Temmingh gehört zur jungen Generation von Blockflötisten auf Weltniveau. Geboren in Kapstadt, stammt er aus einer südafrikanisch-holländischen Musikerfamilie und lebt heute in München. Dieses Jahr wurde er mit dem Echo Klassik als Instrumentalist des Jahres ausgezeichnet.
Classicpoint.net: Sie wurden dieses Jahr mit dem Echo Klassik als Instrumentalist des Jahres ausgezeichnet. Waren Sie überrascht?
Ja, sehr! Im ersten Moment dachte ich mir, ein Freund will mich auf den Arm nehmen, als ich das Email bekommen habe. Aber dann sah ich, wer alles in Kopie gesetzt war und wusste, es ist wahr! Ich durfte aber bis zum nächsten Tag niemandem was sagen. Das war echt schwer.
Was bedeutet Ihnen dieser Preis?
Meine Mutter, die Regisseurin ist, hat mir beigebracht, sehr vorsichtig mit Preisen und Auszeichnungen umzugehen. Als Künstler zählt nur eines: Absolute Ehrlichkeit. Nur so kann sich die Kunst wirklich aus der Seele entfalten. Daher hüte ich mich, die Bedeutung dieses Preises zu hoch einzuschätzen.
Was hat sich seither verändert?
Eigentlich nicht viel. Ich sehe die Sache eher ganzheitlich. Ich gehöre zu den drei oder vier Blockflötisten mit dieser Auszeichnung. Mein Instrument wird mehr und mehr wahrgenommen und nicht als Kinderspielzeug gesehen.
Sie haben bis ins Alter von 17 Jahren auf einer Plastikflöte gespielt, die Sie in der Geschirrspülmaschine reinigen konnten. Wie war das Gefühl und die Umstellung auf die Holzflöte?
Natürlich war das ein absolutes „Aha-Erlebnis“. Die klanglichen Möglichkeiten sind um ein Vielfaches mehr. Das zweite „Aha-Erlebnis“ war, als ich meine erste Flöte des Schweizer Flötenbauers Ernst Meyer bekommen habe. Diese Flöten haben mich als Spieler wesentlich beeinflusst. Leider ist Ernst dieses Jahr im Sommer verstorben. Für die Blockflötenwelt ist das ein großer Verlust.
Ist die Blockflöte wirklich das beste Einstiegsinstrument?
Ich glaube nicht, dass man sagen kann, dass ein bestimmtes Instrument das beste Einstiegsinstrument ist. Ich glaube, dass ein Instrument die innere Stimme eines Kindes weckt, oder nicht. So ist für das eine Kind die Blockflöte ein idealer Einsteig und für ein anderes Kind die Geige.
Das Instrument ist mit vielen Vorurteilen behaftet. Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert, als Sie sich entschieden haben, beruflich mit der Blockflöte zu arbeiten?
Ehrlich gesagt habe ich niemals gefragt. Meine Mutter erzählt heute gerne, wie ich ihr als Junge erzählt habe, dass ich mich selber erziehe! Zu einem gewissen Grad stimmt das auch. Ich habe meistens meine eigenen Sachen durchgezogen und was die anderen sagen, war und ist mir eigentlich egal.
Sie spielen nebst alter Musik auch viele Uraufführungen und geben selbst Kompositionsaufträge. Wie offen sind die Komponisten für das Instrument Blockflöte?
Komponisten müssen heute ja immer neue Klänge finden und da ist die Blockflöte besonders praktisch, weil sie nicht so bekannt ist wie andere Instrumente. Hinzu kommt noch der Bonus, dass die Blockflöte gerade durch ihre einfache Bauart so viele verschiedene Spielmöglichkeiten bietet.
Spielen Sie nur Originalliteratur oder auch Transkriptionen und Arrangements?
Ich spiele beides. Auf meiner Debut-CD waren Geigen-Sonaten von Corelli, die bereits im 18. Jahrhundert für die Blockflöte transkribiert wurden. Als zweite CD nahm ich Händels Opernarien auf, hier handelte es sich ebenfalls um barocke Arrangements. Auf meiner dritten CD sind Bach-Klaviersuiten zu hören, arrangiert für Blockflöte, Gambe und Laute. Ich scheue mich also überhaupt nicht vor Umbesetzungen. Was zählt, ist letztlich nur, ob es „klingt“. Aber in der näheren Zukunft werde ich mich eher auf Originalliteratur konzentrieren.
Sie kommen aus Südafrika und haben da als Junge gelebt. Wie stark haben Sie die Apartheid selbst erlebt?
Sehr stark. Meine Eltern haben mir als kleinem Jungen sehr klar gemacht, wie ungerecht das Apartheid-Regime war. Schon als Kind habe ich diese Rassentrennung absolut nicht verstanden. Ich war während des politischen Umbruchs in der Grundschule habe beispielsweise Mandelas erste öffentliche Rede nach seiner Freilassung live erlebt.
Was interessiert und beschäftigt Sie neben der Musik noch?
Genuss. Ich bin ein leidenschaftlicher Koch, lese täglich Kochbücher, und wenn ich zu Hause bin, koche ich sehr gerne. Genuss bedeutet für mich aber auch, ein Herbstblatt mit Freude anzuschauen und nicht nur, einen guten Rotwein zu trinken.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 1.11.2016
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