Aktuelles Interview

Eldbjørg Hemsing

Eldbjørg Hemsing im aktuellen Interview.

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Maxim Vengerov im Interview

Maxim Vengerov

« Es gibt nichts Mächtigeres als die Liebe »

Der 1974 in Russland geborene Violinist Maxim Vengerov begann bereits im Alter von fünf Jahren mit dem Violinunterricht bei Galina Turchaninova. Heute ist er international auf allen wichtigen Bühnen zu erleben. Der künstlerische Leiter der Schweizer Menuhin Music Academy spricht im Interview über seine künstlerische Laufbahn, seine zahlreichen Mentoren, seine drei Berufe als Geiger, Dirigent und Lehrer sowie seine Tätigkeit als Juror beim Isaac Stern Wettbewerb.

Classicpoint.net: Sie haben bei Zakhar Bron studiert und sind ihm in den 1990er Jahren vom Ostblock an die Musikhochschule Lübeck gefolgt. Können Sie uns über diese Zeit berichten?
Bevor ich bei Professor Bron studierte, war ich 5 Jahre lang bei Galina Turchaninova. Als Schüler von Bron ging ich nach Lübeck, um sowohl zu studieren als auch aufzutreten. Das war eine wirklich aufregende Zeit für mich, besonders da ich aus Russland kam. Zu dieser Zeit war Russland noch Teil der Sowjetunion, und der kulturelle Unterschied zwischen meiner neuen Destination und meiner Herkunft war außergewöhnlich. Als junger Mensch war es eine sehr wichtige Zeit, um die westliche Kultur kennen zu lernen, wo die Unterschiede zwischen der östlichen und der westlichen Kultur lagen, und um Zeit damit zu verbringen, die großen westlichen Angebote zu absorbieren. Als ich nach Deutschland kam, war ich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium, da ich in Russland eine fantastische, intensive Musikausbildung hatte – ich habe nicht nur Geige studiert, sondern auch Harmonie und andere Musikdisziplinen. Es war eine wirklich erstaunliche Zeit, wenn ich darauf zurückblicke, denn mit 13 Jahren war ich bereits ein reisender Musiker, der im Begriff war, ein zweites Mal die Welt zu bereisen.

Als Sie den Carl Flesch Wettbewerb gewonnen und plötzlich 70 Engagements in der ganzen Welt bekommen haben, waren Sie sich noch nicht sicher, ob Sie ein professioneller Musiker werden sollten. Warum hatten Sie diese Unsicherheit und was hat Sie letztendlich dazu gebracht, Musiker zu werden?
Ich habe in der Pädagogik 11 Jahre lang von zwei großen Lehrern gelernt. Das Ergebnis war, dass mich alle als Berufsmusiker wahrnahmen, weil mein Repertoire sehr groß war. Ich wurde nicht mehr als Wunderkind angesehen. Nach meinem Studium bei Bron entschied ich mich, keinen weiteren Lehrer zu haben. Wenn du einmal bei einem so großartigen Lehrer warst, wen kannst du dann noch haben? Das Niveau mit Bron war wirklich außergewöhnlich, aber ich musste ihn wegen einer familiären Situation verlassen. Also musste ich alleine arbeiten und die Musik für mich entdecken. Etwa zu dieser Zeit nahm ich Kontakt zu Isaac Stern für eine kurze Unterrichtsstunde auf. Er bat mich, die Tonleitern zu spielen, was ich dann tat. Er sagte mir, ich könne keine zwei Noten miteinander verbinden und er sei sehr froh, dass ich so viele Konzerte und Engagements in London, Japan und den Vereinigten Staaten hatte, aber dass ich noch nicht die musikalische Professionalität erreicht hätte. Ich bat ihn, mir zu helfen und mir zu sagen, was nicht in Ordnung sei. Er antwortete, er könne es mir natürlich sagen, aber er glaube, dass ich das Potential hätte, es selbst herauszufinden. Er sagte mir, dass er mit 16 Jahren auch allein gewesen sei, ohne Lehrer. Wenn er die Musik für sich selbst entdecken könne, dann könne ich das auch. Das brachte mich auf einen herausfordernden Weg, da ich verstand, dass ich meine Richtung ändern müsse.

Ich hörte Orchester, Sinfonien, Opern, und studierte Harmonie und Musikanalyse sowie viele andere Disziplinen außerhalb der Geige. Das half mir wirklich, meinen Horizont zu erweitern, denn ich erkannte, dass ich ohne zusätzliche Kenntnisse keine Karriere als Geiger machen konnte. Ein Jahr später hatte ich mehrere Lehrer, von denen keiner Geigenlehrer war, und ich trat mit 70 Konzerten intensiv auf. Als ich 17 Jahre alt wurde, traf ich die großen Rostropowitsch und Barenboim, die meine Mentoren fürs Leben wurden. Mit ihnen habe ich einen großen Teil des Kernrepertoires aufgenommen. Sie eröffneten mir neue Horizonte und Perspektiven in meinem musikalischen Leben und ich bin ihnen sehr dankbar.

Im Jahr 2007 hatten Sie eine Verletzung am rechten Arm und konnten 4 Jahre lang nicht mehr Geige spielen. Wie hat das Ihre künftige Karriere beeinflusst?
Ich hatte nie eine Armverletzung! Ich brauchte Zeit, um über mein Leben Bilanz zu ziehen. Die Menschen können nicht verstehen, wie man eine große Karriere verlassen kann, um etwas anderes zu studieren. Niemand hat den wahren Grund geglaubt, also haben sie eine Armverletzung erfunden. Was tatsächlich passierte, war, dass ich das Gefühl hatte, dass ich aufhören musste, das zu tun, was ich tat, und stattdessen Dirigieren lernen musste. Wenn ich noch während des Dirigierens dirigieren würde, dann wäre ich nicht in der Lage, auf eine tiefgründige Weise zu lernen. Ich wollte die Kunst des Dirigierens wirklich von innen heraus lernen. Ich habe allen gesagt, dass ich 2011 zurückkommen würde, was ich auch tat, weil ich im Mai 2011 in Brüssel Brahms gespielt habe. Seitdem spiele ich wieder, aber auf einem anderen Niveau. Denn das Dirigierstudium hat mir ein tieferes Verständnis und eine neue Dimension meiner Arbeit als Geiger gegeben. Die großen Konzerte sind meist als Symphonie geschrieben, in die die Violinstimmen integriert sind. Wenn man die Textur des Orchesters verstehen will, dann muss man ein Grundverständnis dafür haben, was das Orchester ist. Wenn man in der Lage ist zu dirigieren, dann geht man in eine andere Dimension über, weil man in der Lage ist, die gleiche Sprache des Dirigenten zu sprechen. Dieser Prozess hilft mir enorm; ich habe jetzt sicherlich ein viel tieferes Verständnis für die Werke von Brahms und Beethoven bekommen.

Rostropowitsch und Barenboim – Was können Sie uns über diese beiden Persönlichkeiten erzählen? Wie war Ihre Beziehung und was haben Sie von ihnen gelernt?
Sie waren völlig verschieden, wie die Sonne und der Mond. Ich erinnere mich, dass beide ziemlich hart zu mir waren. Einmal habe ich vor einem Konzert Sibelius’ Violinkonzert für Barenboim gespielt. Ich war zufrieden mit der Art und Weise, wie ich das ganze Stück spielte, da ich es einen Monat zuvor erfolgreich aufgeführt hatte. Aber innert wenigen Sekunden hat Barenboims Schweigen all mein Vertrauen total zerstört! Diese Sekunden kamen wir wie eine Ewigkeit vor. Ich fragte ihn, ob er glücklich sei. Er sagte, dass ich das Stück auf jeden Fall spielen könne, aber dass es nicht Sibelius' Violinkonzert sei. Ich fragte ihn, was das ist, und er gab mir die Partitur und sagte, ich müsse es eines Abends herausfinden.

Am nächsten Morgen sah ich ihn wieder, und er teile mir mit, es reiche nicht aus, nur zu üben, ich müsse stattdessen meinen Geigenpart mit den Orchesterlinien verbinden. Nach der ersten Probe ermutigte er mich, ich hätte einen guten Anfang gemacht.

Als ich dann aber mit Barenboim Konzerte gab, bestand er immer noch auf seiner Interpretation. Wenn ich mit Rostropowitsch spielte, warf er mir enorme Mengen an Informationen zu, aber er ließ mich allein, um den musikalischen Inhalt so zu gestalten, wie ich mich bei Konzerten fühlte. Und das waren die prinzipiellen Unterschiede zwischen Rostropowitsch und Barenboim. Rostropowitsch gab mir wirklich die Bühne und ließ mich frei gestalten.

Sie sind auch in Jurys von Wettbewerben. Was suchen Sie bei der Auswahl der Besten?
Ich habe bei vielen Geigenwettbewerben involviert. Einer davon ist der Isaac-Stern-Wettbewerb, bei dem ich im nächsten Jahr in der Endrunde in der Jury sitzen werde. Beim Wieniawski-Wettbewerb in Polen war ich zweimal in der Jury, was aufgrund der innovativen Aspekte des Wettbewerbs eine bemerkenswerte Erfahrung war. Ich habe die gesamte Vorauswahl live durchgeführt und 220 Spieler in 9 Städten auf der ganzen Welt gehört. Beim 2. Mal habe ich eine Vorauswahl von 250 Spielern aus Amerika, Europa und Japan getroffen. Aus dieser Zahl musste ich 45 auswählen. Es war bemerkenswert, denn jedes Mal, wenn ich den Spielern zuhörte, gab ich ihnen 20 Minuten Zeit zum Spielen und dann hatten wir immer 5 Minuten Zeit um uns zu unterhalten. Ich habe gesehen, was in ihnen steckt und was sie wirklich brauchen. Meine Vorstellung von dem Wettbewerb ist nicht, wer ins Finale kommt oder gar gewinnt. Für mich ist es wichtig, dass jeder, der teilnimmt, etwas davon hat. Sie müssen verwandelt werden. Es ist auch eine großartige Plattform für junge Musiker, um sich zu treffen und zu interagieren.
Die Geschichte lehrt uns, dass nicht alle Preisträger es bis an die Spitze schaffen. Ich glaube, dass der Wettbewerb eine Möglichkeit ist, junge Spieler mit unterschiedlichem Repertoire zu vergleichen. Sie können zum Beispiel Mendelssohns Violinkonzert sehr gut spielen, aber dann ist Ihr Spiel von Bach vielleicht nicht so stilistisch interessant.

In Wettbewerben haben wir die Möglichkeit zu sehen, was der Spieler kann. Wir erkennen, dass diese jungen Leute noch nicht als reife Musiker bezeichnet werden können; sie sind gerade einmal in ihren 20er Jahren. Deshalb konzentrieren wir uns sehr auf ihr Potential und darauf, wie wir glauben, dass ihr Spiel in einigen Jahren aussehen wird. Es ist sehr selten, dass man einem jungen Spieler begegnet, der bereits als reifer Musiker gelten kann, aber es ist möglich.

Sie sehen Musik als ein heilendes Werkzeug in unserer hektischen Zeit. Wie und warum kann uns die Musik helfen?
Musik ist Licht und Musik ist Schwingung. Was immer also schwingt, hat die Fähigkeit, Menschen zu beeinflussen. Es ist sehr wichtig, immer das Repertoire und die Musik auszuwählen, in die man absolut verliebt ist. Die größte Energie, die es gibt, ist die Liebe. Es gibt nichts Mächtigeres als die Liebe. Und wenn ihr nicht sicher seid, dass ihr die Komposition, die ihr spielt, liebt, dann spielt sie besser nicht!

Ich bewundere die Arbeit des amerikanisch-maltesischen Komponisten Alexey Shor sehr. Er ist der Composer in Residence des Armenischen Staatlichen Symphonieorchesters (ASSO) und ich bin sein Artist in Residence. So haben wir uns für die bevorstehende Europatournee zusammengeschlossen. Wir machen eine schöne Tournee durch fünf Städte im Januar, und für das Programm werden wir Bruchs "Violinkonzert Nr.1" und Ravels "Tzigane" mit neuen, gefühlsvollen Werken von Alexey Shor kombinieren, wobei wir je nach Konzert entweder "Barcarolle" oder "Lonely Sail" präsentieren. Außerdem spielt das ASSO die Europa-Premiere der 2. Sinfonie des armenischen Komponisten John Ter-Tatevosian "The Fate of Man".

Das Werk von Shor ist wunderschön, melodiös und passt sehr gut zum weiteren Programm des ASSO. Sors Musik hat Dichte und sind im Wesentlichen Lieder ohne Worte, welche die Natur beschreiben. Sie sind sehr stark mit Aspekten der Natur verbunden, und deshalb sind alle Namen, die er seinen Stücken gibt, entweder über das Meer oder etwas ähnlich Malerisches. Ein großartiges Beispiel für malerische Musik ist La Mer von Debussy. Die Musik spricht einfach für sich selbst und hilft uns, sie zu verstehen.

Ich glaube, es gibt zwei Arten von Musik. Die eine Art ist die, die von Brahms und Beethoven geschaffen wurde. Man spielt die Symphonie, man fühlt die Struktur und es ist wie ein Monument. Dann gibt es den malerischen Typus, von Komponisten wie Debussy, Fauré und Poulenc. Das Interessante an ihrer Musik ist, dass sie das Publikum sich vorstellen lassen, was der Komponist will.

Sie haben letztes Jahr Ihr Debüt als Operndirigent gegeben und extra Gesangsunterricht genommen. Was kommt als nächstes, was wollen Sie noch lernen?
Eines Tages würde ich gerne einmal etwas komponieren. Ich habe die meisten großen Kompositionen dirigiert, jetzt juckt es mich, selbst zu komponieren. Ich möchte es aber machen, wenn ich Zeit habe und wenn ich nicht in Eile bin. Ich will es geschehen lassen, wenn es sein muss. Meine drei Berufe als Dirigent, Geiger und Lehrer zu kombinieren, ist eine ziemliche Herausforderung, und eine Familie zu haben, ist eine Vollzeitbeschäftigung!

Ich freue mich auch sehr darauf, mit dem Armenischen Staatlichen Symphonieorchester und Sergey Smbtayan für die Europatournee zu arbeiten. Ich traf Sergey, als er Anfang 20 war und als Geiger ist er sehr talentiert. Obwohl er nicht oft auf der Bühne spielt, versteht er die Geige, und das macht, dass man sich mit ihm sehr wohl fühlt. Das Orchester besteht aus talentierten Spielern, die eine große Energie und ein enormes Potential haben.

Auf welche Aufnahme oder welches Projekt sind Sie am meisten stolz?
Ich bin stolz auf die Aufnahme von Tschaikowskys Violinkonzert, die ich mit Myung-Whun Chung und dem Orchester von Radio France im Jahr 2015 gemacht habe. Es klingt jetzt anders für mich, denke ich, da ich es jetzt symphonischer spiele, seit ich Tschaikowskys Sinfonie dirigiert habe. Chung ist auch ein großartiger Dirigent und ein fantastischer Partner, und das Orchester hat eine erstaunliche Arbeit geleistet.

Ich bin auch stolz auf die Aufführung, die ich letztes Jahr live aus der Carnegie Hall in einem Rezital mit dem Pianisten Roustem Saïtkoulov gemacht habe. Das Konzert dauerte fast 2 Stunden! Wir spielten Werke von Rachmaninoff, Paganini und Kreisler. Wir spielten auch Ernst's The Last Rose of Summer, worauf ich stolz bin, da ich erst zehn Jahre alt war, als ich es zum ersten Mal spielte! Also habe ich es wieder aufgegriffen, um in Erinnerungen zu schwelgen.

Haben Sie neben der Musik noch eine andere Leidenschaft?
Meine Leidenschaft ist meine Familie. Meine Kinder spielen auch Instrumente. Meine Älteste hat gerade ihr erstes Orchesterdebüt in Russland am Klavier gespielt.


Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 3.01.2020
Fotograf: © Benjamin Ealovega

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