Max Volbers im Interview
«Historische Aufführungspraxis heißt Verstehen, nicht blindes Übernehmen.»
Max Volbers gehört als Blockflötist, Cembalist und vermehrt auch als Ensembleleiter zu den vielseitigsten jungen Musikern im Bereich der Alten Musik. Ganz im Sinne der Klangwelten des 17. und 18. Jahrhunderts, in denen Musiker:innen selbstverständlich mehrere Instrumente beherrschten, beleuchtet er als Multi-Instrumentalist das Repertoire der Alten Musik aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Ein großes Anliegen ist ihm dabei das Ergründen neuen Repertoires, sei es durch Paraphrasen, Pasticcios oder Transkriptionen. Außerdem widmet er sich immer wieder der Neuen Musik und arbeitet regelmäßig mit Komponist:innen an Auftragskompositionen. Er studierte an der Universität Mozarteum Salzburg bei Dorothee Oberlinger, Walter van Hauwe, Reinhard Goebel und Florian Birsak.
Wann und wo wurde Ihr Interesse für die Alte Musik geweckt?
Das war ganz sicher bei meiner ersten Blockflöten-Lehrerin, Brigitte Meier-Sprinz; eine sehr fähige Musikerin und Pädagogin, die verstanden hat, wie wichtig es ist, in Kindern ein Feuer der Begeisterung zu entfachen. Ich habe bei ihr nicht nur Alte Musik gespielt, aber natürlich liegt ein großer Teil des Blockflöten-Repertoires genau dort. Sie hat recht schnell das 6-jährige, unterforderte, unausstehliche Kind, das ich war, aus dem Gruppenunterricht genommen, mir Einzelstunden verpasst und ordentlich „Futter" gegeben. Später kam das Klavier dazu, mit 11 (es wurde ein Schulorganist gebraucht) noch die Orgel, Schulchor, Orchester usw.
In meiner Jugend habe ich daher von Mittelaltermusik bis hin zu Brahms, Bartok, französischer romantischer Orgelmusik und Popmusik so ziemlich alles gespielt, was mir unter Finger und Füße kam. Aber die große Liebe, wo ich immer das Gefühl hatte, wirklich zu Hause zu sein, ist bis heute die Alte Musik.
Sie treten als Blockflötist, Cembalist und Ensembleleiter auf. Machen Sie das bewusst, weil die Musiker:innen des 17. und 18. Jahrhundert auch Multi-Instrumentalisten waren?
Nein, historische Aufführungspraxis heißt Verstehen, nicht blindes Übernehmen. In meinem Fall kam es einfach automatisch: Ich habe zu Schulzeiten ambitioniert Klavier gespielt und eines Tages stand bei meiner Flötenlehrerin ein Cembalo - ein im Nachhinein überhaupt nicht tolles Exemplar, aber irgendwie hat es mich total fasziniert. Ich tue, was mich interessiert - und zufällig hat es sich so ergeben, dass ich neben dem solistischen Flötenspiel auch als Cembalist und Ensembleleiter vom Cembalo aus auftrete.
Wenn, dann wird andersrum ein Schuh draus: Das Repertoire des 17. und 18. Jahrhundert ist auf Musiker:innen ausgelegt, die im Regelfall mehrere Instrumente spielen konnten - und übrigens: Man musste gefälligst auch gut komponieren können, wenn man etwas auf sich hielt. Es gibt im 18. Jahrhundert einen feinen Unterschied zwischen „Musikus“ und „Musikant“, wer „nur" spielen konnte, war weniger hoch angesehen. Dass man sich auf Komponieren ODER das Spiel, und dann nur auf einem Instrument, festzulegen hatte, kam später, und gleichzeitig änderte sich das Repertoire. Die Stücke wurden technisch so fordernd, dass man als Musiker:in kaum eine andere Wahl hat, als sich auf ein Instrument festzulegen. Das heißt nicht, dass Barockmusik leichter ist als Klassik und Romantik, aber sie funktioniert anders, ganzheitlicher. Dass ich die Musik, die ich spiele, aus drei verschiedenen Blickwinkeln intensiv wahrnehmen kann, empfinde ich als großen Vorteil.
Sie ergründen gerne neues Repertoire und befassen sich mit Paraphrasen, Pasticcios oder Transkriptionen. Nach was suchen Sie?
Die Blockflöte hat ein unglaublich schönes Original-Repertoire, das ich auch immer wieder gern im Konzert spiele. Dennoch liebe ich es, auf die Suche nach neuem Repertoire für mein Instrument zu gehen. Das Ideal, das ich versuche, zu erreichen ist, dass das Ergebnis nie nach Bastelei klingt oder man sich denkt: „Ach schade, jetzt musste er oktavieren, weil der Tonumfang der Flöte hier zu Ende war - tja, da merkt man, dass es eigentlich ein Geigenstück ist“. Eine gute Bearbeitung erkennt man immer daran, dass das Stück so klingt, als wäre es ursprünglich kompositorisch genau so gedacht gewesen. Es passiert mir gar nicht selten, dass ich ein Stück anfange zu bearbeiten und es irgendwann beiseite lege, weil mir bewusst wird: Das wird immer zurechtgelegt klingen. Im Übrigen suche ich dabei auch immer etwas, das zumindest gefühlt „meins“ ist. Ich werde immer mal wieder nach Noten von Transkriptionen gefragt, aber die geb ich grundsätzlich nicht her. Meine Transkriptionen sind auch definitiv nie der Weisheit letzter Schluss...
Kurz gesagt: Ich suche in der Alten Musik neue Stücke, die so nicht komponiert wurden, aber so hätten komponiert werden können!
Sie haben eben den renommierten Deutschen Musikwettbewerb gewonnen. Hat sich einiges verändert seither?
Oh ja, man muss schon sagen, dass der Musikwettbewerb des Deutschen Musikrats ganz sicher einer der Wettbewerbe mit der besten Anschlussförderung ist. Was beeindruckt ist das, was nach dem Wettbewerb passiert: Konzertvermittlung und - förderung, intensive Beratung für die Karriere, Vernetzung - und natürlich die CD.
Sie sind auch stark an neuer Musik interessiert. Was fasziniert Sie daran?
Im Studium habe ich mich lange gegen Neue Musik gesperrt - wenn ich ehrlich bin, schlicht und ergreifend deshalb, weil ich mich viel schwerer tue, die Stücke zu lernen. Ein schweres Barock-Concerto kann ich, wenn’s sein muss, an zwei Tagen lernen, aber bei Stücken wie Berios „Gesti“ wollte ich die Flöte in den ersten Semestern beim Üben nur noch an die Wand werfen! Meine Lehrerin Dorothee Oberlinger gab mir irgendwann das Stück „nah, getrennt“ von Mathias Spahlinger als „Radikalkur“ - es ist so unfassbar schwer! Der zweite Teil besteht aus einer schnellen Abfolge von eng beieinanderliegenden Sechzehnteltönen, man muss also erst einmal etliche neue, durchnummerierte Griffe lernen und jeden Griff der richtigen Zahl zuordnen; wenn man nur einen Finger falsch bewegt, kommt unter Garantie ein Ton, der völlig außerhalb des eng gesteckten Tonraums liegt - und man hört sofort: Das war falsch.
Ich habe so geflucht! Aber irgendwann hat es „Klick“ gemacht. Später ergab es sich, dass ich immer wieder mit Komponist:innen an neuen Werken arbeiten durfte und dieses gemeinsame Suchen, Feedback geben, ausprobieren sind natürlich Dinge, die wir in der Alten Musik nicht haben. Wenn man so viel Musik spielt, die 270 Jahre und älter ist, dann ist es zur Abwechslung mal ganz schön, mit lebenden Komponist:innen zu tun zu haben.
Wo sehen Sie die Parallelen zwischen Alter und Neuer Musik?
Ich muss vorwegschicken, dass ich eigentlich kein besonderer Freund dieser Terminologie bin. Alte und Neue Musik sind Begriffe, die so konträr klingen und etwas suggerieren wie "Yin und Yang“, „links und rechts“, „gut und schlecht“, „Biomüll, Restmüll". Musikgeschichte ist viel komplizierter, fluider. Und wären sie nicht durch Konventionen definiert, was wären dann Alte und Neue Musik? Alles was vor mehr als zwei Wochen, drei Jahren oder 10 Jahren geschrieben wurde, könnte man als Alt bezeichnen. Außerdem hat „Alt“ diesen negativen Touch von verstaubt, muffig, sperrig.
Aber zur Frage: Ich weiß nicht, ob man generelle Parallelen zementieren kann, aber punktuell begegne ich solchen Parallelen ständig. Zum Beispiel spielen musikalische Formen sowohl für Alte als auch für Neue Musik eine große Rolle - sei es im Fall der Neuen Musik durch das Aufbrechen jeglicher Form. Eine weitere Gemeinsamkeit sind improvisatorische Elemente. Und die für mich natürlich größte Parallele: Sowohl die Flöte als auch das Cembalo haben ihr Repertoire in genau diesen beiden Welten, weil sie in den dazwischenliegenden Epochen vergessen waren und erst im 20. Jahrhundert wirklich wiederentdeckt wurden.
Wo soll Ihr Weg hinführen, was sind Ihre Visionen?
Ich habe natürlich Projekte im Kopf, die ich verwirklichen will und wer sagt, er wolle nicht unbedingt mal im berühmten Saal X und mit Weltklasse-Orchester Y auftreten, der flunkert. Aber ich versuche, mich darauf nicht zu sehr zu fokussieren. Lieber mit den Gedanken beim nächsten Konzert sein und nicht zu sehr beim über-über-über-über-nächsten. Das ist natürlich nicht einfach, weil man ohne langfristige Pläne und Ideen nicht vom Fleck kommt. Daher habe ich Pläne und Visionen, versuche aber, sie mental gut zu verstauen und ihnen Zeit zu widmen, wenn ich auch Zeit und Aufmerksamkeit dafür habe.
Hätten Sie einen Wunsch frei bezüglich Ihrer Musikkarriere, was würden Sie sich wünschen?
Dass es mir immer gelingt, in künstlerischen Fragen so unabhängig wie möglich zu bleiben und künstlerische Hoheit über mich selbst zu behalten. Dafür braucht es Menschen um einen herum – seien es Kolleg:innen, Mitarbeiter:innen von Labels, Agenturen usw. – die Dir vertrauen und an Dich glauben, selbst wenn Du mit einer Idee kommst, die vielleicht auf den ersten Blick total abgefahren, schwer verkäuflich, altmodisch, verkopft oder was auch immer klingt.
Wie bereiten Sie sich auf Konzerte unmittelbar vor dem Auftreten vor?
Ich habe da nicht wirklich Rituale und bin auch vor Konzerten nur selten nervös - ich werde stattdessen gerne mal müde. Zwischen Probe und Konzert findet man mich daher meistens im nächsten Café beim Koffein-Tanken. Direkt vor dem Konzert kommt das Handy weg und ich checke und stimme meine Instrumente. Achja, ein kleines Ritual habe ich doch: Bei Konzerten, in denen ich Flöte spiele, überprüfe ich mit großer Obsession, ob die Wicklung für die Fußstücke gut sitzt. In der sechsten Klasse ist mir bei einem Schulkonzert mal mitten im Stück und vor der ganzen Schule der Fuß von der Flöte abgefallen - ich wäre am liebsten im Boden versunken...
Welche Leidenschaften haben Sie neben der Musik?
Ich koche sehr passioniert, am liebsten mit meiner Frau (ich koche nicht schlecht, sie aber besser - sagen Sie ihr das bloß nicht!), backe Brot und fahre leidenschaftlich gern (und im Moment viel zu selten) mit dem Fahrrad die Salzburger Berge hinauf. Na gut, die Abfahrt macht meistens mehr Spaß, ich geb’s zu! Aus ganz aktuellem Anlass müsste ich vor der nächsten Ausfahrt mal schauen, ob es für mein Gravelbike einen passenden Kinderanhänger gibt - es wird also jedenfalls nie langweilig...
Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 01.12.2022
Copyright Bild: Theresa Pewal
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