Matthias Goerne im Interview

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«Was für mich ok ist, kann für andere schon zu viel sein.»

Der deutsche Bariton Matthias Goerne zählt zu den vielseitigsten und weltweit gefragtesten Sängern seines Stimmfachs. Er ist regelmäßig zu Gast in den international renommierten Konzertsälen und Opernhäusern sowie bei den bedeutenden Festivals und hat mit nahezu allen namhaften Dirigenten und Orchestern in Europa, Amerika und Asien zusammengearbeitet.

Matthias Goerne singt an den großen Opernbühnen der Welt, darunter die Wiener Staatsoper, die Bayerische Staatsoper, das Royal Opera House Covent Garden in London, die Opéra National de Paris, das Teatro Real in Madrid, das Opernhaus Zürich, die Metropolitan Opera in New York und die Mailänder Scala. Das Spektrum seiner sorgfältig ausgewählten Opernrollen reicht von Pizarro (Fidelio), Wolfram (Tannhäuser), Amfortas (Parsifal), Marke, Kurwenal (Tristan und Isolde), Wotan (Die Walküre, Das Rheingold), Wanderer (Siegfried), Orest (Elektra) und Jochanaan (Salome) bis zu den Titelpartien in Béla Bartóks Herzog Blaubarts Burg, Paul Hindemiths Mathis der Maler und Alban Bergs Wozzeck.

Sie haben 2001 bis 2004 als Professor für Liedgestaltung an der Robert Schumann Hochschule in Düsseldorf unterrichtet. Warum haben Sei aufgehört oder unterrichten Sie heute noch? Was hat Ihnen am Unterrichten gefallen. Was ist Ihnen dabei wichtig?
Ich unterrichte nicht mehr, ausser Meisterkurse oder privat und einige Masterclasses in Verbindung mit Festival und Konzerten. Ich hatte dort nur einen 3-Jahresvertrag, da ich auch auch mehr von zu Hause aus arbeiten wollte. Düsseldorf ist verbindungstechnisch gut gelegen gewesen. Ich wollte Stiftungsprofessor ausprobieren, musste aber feststellen, dass das nichts für mich war. Ich bin von der Liedinterpretation nicht überzeugt. Es ergibt nur Sinn, wenn es von den Hochschulen auch gewünscht wird. Die Unterrichtsart ist wie ein Fremdkörper und es gibt immer wieder kleinere Reibereien, es benötigt auch enormen Zeitaufwand. Das lohnt sich nur für die besten Schüler.

Wie wäre es mit einer Professur im Gesang für Sie?
Das noch viel weniger. Das sängerische Niveau und die Voraussetzungen sind hier, im Vergleich zu Korea oder den osteuropäischen Ländern, welche viel besseres musikalisches Material haben, tiefer. Hier sind die Vorgaben auch bedeutend lascher. Es werden per se zu viele Leute hier aufgenommen, das halt auch, damit die Kurse gefüllt werden. Würde man das mit dem internationalen Standard vergleichen würde man merken, dass das nicht so geht. Für mich machte es keinen Sinn, da ich nicht genug Talent sehen konnte und so verlor ich die Motivation dafür.

Wie erleben Sie die Covid-Zeit mit den Lockdowns etc.? Was haben Sie persönlich in der Zeit gemacht?
Die erste Zeit war überraschend, ich hatte so viel Zeit. Dann gings aber wieder los mit Aufnahmen, Streams. Ich hatte viele Konzerte in Spanien, Italien und den Niederlanden. Vielleicht wären 2-3 pro Monat besser gewesen, aber ich dachte mir, dass wenn das Leben immer so gewesen wäre, wäre es einfacher gewesen Privat und Arbeit zu vereinen. Man war so an eine hohe Taktzahl gewöhnt, dass einem das zuvor nie auffiel. Jetzt konnte ich viel mehr Zeit mit der Familie verbringen. Trotzdem möchte ich den Lockdown überhaupt nicht schönreden. Es gab viele, die darunter litten.

Als Sänger ist die Gesundheit besonders wichtig. Treffen Sie besondere Vorkehrungen in Ihrem Leben?
Das was der Stimme am meisten schadet, ist die falsche Technik, es gibt nichts Schädlicheres. Natürlich vermeide ich den Händedruck mit einem Erkälteten, aber ich mache mir keine Panik. Scharfes Essen zum Beispiel ist aber auch nicht gut für die Stimme. Aber so unterschiedlich Menschen sind, so unterschiedlich sind deren Befindlichkeiten. Klar gibt es gewisse Dinge, die für alle nicht gut sind, aber jeder empfindet gewisse Dinge schlimmer und andere weniger, auch ich rauche ab und an eine Zigarre. Was für mich ok ist, kann für den anderen schon zu viel sein. Man muss sich nicht alles verbieten, aber auch nicht jeden Tag wie ein König auf die Pauke hauen.

Was ist das Interessante für Sie beim Gesang. Wo liegt Ihre Faszination?
Es ist viel weniger das Singen, als man denkt. Es ist mehr die Kommunikation über Themen, welche für einem wichtig sind. Ich glaube, gute Stimme, Texte und Musik, wenn diese sich verbinden, ist es eindringlicher als nur zu hören oder zu lesen. Im besten Fall findet eine enorme Verstärkung des Verständnisses für beides statt.

Wie ist es mit der Sprache, ist es wichtig die Sprache zu verstehen und als Sänger die Sprache richtig wiederzugeben?
Die Aussprache ist natürlich erlernbar. Aber um die idiomatische Verwendung jeder Sprache zu können, müsste man in jeder Sprachregion mindestens 10 Jahre leben. Ich würde nie nach Paris oder Genf ziehen, das wäre ein Kraftakt für mich. Ich weiss nicht, was ich gemacht hätte, wäre ich in England oder Finnland geboren. Es gibt aber wenige Leadsinger, welche nicht aus dem deutschen Raum kommen und Deutsch singen. Man weiss, dass Ungarisch eine der schwersten zu erlernenden Sprachen ist, trotzdem singe ich zeit Jahren Herzog Blaubarts Burg. Da ich das so oft gesungen habe, auch wenn ich die Grammatik nicht verstehe, verstehe ich den Text. Das wird aber vielen russischen Sängern in der italienischen oder deutschen Sprache ergehen und umgekehrt. Man muss viel über die Phonetik arbeiten. Irgendwann fühlt sich das richtig an, trotzdem ist der «native sprechende klar im Vorteil in dieser Hinsicht.

Eine der grössten Ausnahmen ist Felicity Lott, ihr hörte man nicht an, dass Sie keine Deutsche war, sondern Engländerin und auch dort lebt. Aber das ist eher eine Seltenheit. Ich finde das aber gar kein Problem, ich finde es auch mal schön eine Färbung zu hören. Ich habe viele Sänger*innen gehört, welche einen wichtigen Teil zur Kunst beigetragen haben, obwohl sie in einer ihnen fremden Sprache gesungen haben.

Welche Rolle verbieten Sie sich selber obwohl Sie diese gerne singen würden?
Falstaff zum Beispiel, ich habe es immer wieder angeboten bekommen und würde es aber für vollkommen falsch halten. Es gibt ein Repertoire was ich noch nicht gemacht habe, aber könnte und vieles was ich noch nicht gemacht habe, aber möchte. Dann nehme ich lieber das was mir passt, als das weitentfernte, nur um etwas zu beweisen. King Roger ist eine herausragende polnische Oper und ich habe es sehr oft angeboten bekommen und abgelehnt. Warum sollte man dem Publikum zumuten, dass ein Deutscher dann Polnisch singt, wenn er das nur fonetisch gelernt hat? Künstlerisch ist das eine grosse Limitierung.

Inwiefern hat sich Ihre Stimme mit dem Alter verändert?
Ich glaube der Umfang hat sich erweitert. Der Stimmklang hat sich verändert, aber ich würde meine Stimme noch nicht als ältlich bezeichnen. Die Belastung ist aber auch im Alter eine ganz andere. Es kommt eine Kraft in die Stimme, welche ermöglicht, einen Klang viel länger singen zu können, aber man riskiert dadurch auch, kein Piano mehr singen zu können. Das kann man aber verhindern, wenn man regelmässig das Repertoire verändert. So versteift man sich nicht auf eine Art des Singens. Und das glaube ich, ist mir mit der Zeit sehr gut gelungen. Es gibt auch immer wieder spontane Ausbrüche, welche mir jetzt viel leichter fallen als im jungen Alter.

Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Begleiter aus?
Nach dem Können, dem Interesse und der Qualität. Es gibt Leute, die nehmen immer das selbe Gegenüber. Klar habe ich einige lebenslange Kontakte, aber das reizvolle ist die Differenz der Stärken und die individuelle Betrachtungsweise. Das reizt mich enorm. Ich halte die souveräne Beherrschung des Instruments und das gegenseitige Finden am wichtigsten.

Sie wechseln zwischen Liederabenden und Opernauftritten ab und haben zum Teil kaum Zeit dazwischen. Wie schwierig ist eigentlich für die Stimme die Umstellung?
Prinzipiell ist es schon besser einige Tage nicht zu singen, so kann sich auch der Muskel entspannen, aber das ist auch wieder sehr individuell. Wenn man das aber langgenug macht, kann man sich daran gewöhnen.

Bei der Einstudierung einer Oper müssen ja einige leitende Protagonisten zusammenarbeiten (Regisseur, Solist, Dirigent). Da sind Reibungen prädestiniert. Wie gehen Sie damit um?
Zuerst ist die Frage, wer dirigiert, wer ist der Regisseur, gibt es das Stück schon? Meistens findet man immer einen Weg, es sinnmachend wirken zu lassen.

Welche Leidenschaften haben Sie neben der Musik?
Alles ist so miteinander verbunden. Ich muss mich aber nicht jeden Tag mit Musik beschäftigen, weil der musikalische Teil im Jahr schon sehr gross ist. Aber ein Leben mit individueller Freiheit zu haben ist für mich schon sehr wichtig, das hat einem vielleicht auch wieder diese Zeit gelehrt. Das hat garantiert zur Schärfung der Gedanken beigetragen. Die Leidenschaft ist, für Freiheit einzutreten und darüber nachzudenken.




Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 27.10.2021

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