Jan Vogler im Interview

Jan Vogler

«Musik muss gesellschaftliche Relevanz haben.»

Jan Vogler, der heute mit seiner Frau und beiden Töchtern in Dresden und in New York lebt, begann seine Karriere als erster Konzertmeister Violoncello in der Staatskapelle Dresden im Alter von 20 Jahren. Diese Position gab er 1997 auf, um sich ganz auf seine erfolgreiche Tätigkeit als Solist zu konzentrieren. Jan Vogler ist zudem künstlerischer Leiter des Moritzburg Festivals bei Dresden und seit Oktober 2008 auch Intendant der Dresdner Musikfestspiele.

Classicpoint.ch: Sie waren bereits mit 20 Jahren Solocellist bei der Staatskapelle Dresden und haben 1997 diese Position aufgegeben, um eine Solistenkarriere zu starten. Ist das nicht besonders schwer, als Orchestermusiker noch Solist zu werden?
Solist zu werden kann man nicht planen. Es ist eine wechselseitige Reaktion und Faszination zwischen Spieler und Publikum. Ich wollte es einfach probieren. Es war ein alter Traum aus meiner Kindheit, mit meinem Cello durch die Welt zu reisen und für Menschen verschiedenster Herkunft zu spielen.
Ich wuchs in der DDR auf. Dort war so ein Leben schon aufgrund der fehlenden Reisefreiheit unmöglich. So wurde ich Solocellist. Im Nachhinein betrachtet war das ein grosser Glücksfall für mich, im Orchester habe ich viel Repertoire gespielt und hatte Zeit, meine Gedanken zu ordnen.

Vermissen Sie manchmal das Orchesterspiel?
Nein, das war dann plötzlich mit einem Schlag vorbei. Ich war ab 1997 in diesem Wirbelwind der eigenen Projekte, Konzerte und CD-Aufnahmen und kümmerte mich immer mehr um mein Kammermusikfestival in Moritzburg. Ein neuer Freundes- und Kollegenkreis entstand, und ein ganz neuer Lebensstil faszinierte und forderte mich. Es ist jetzt fast 20 Jahre her, dass ich das Orchester verlassen habe, die Zeit ist wahnsinnig schnell vergangen!

Sie leben mit Ihrer Familie in Dresden und New York. Wie muss man sich das vorstellen?
New York ist unser Lebensmittelpunkt, das ist mein Ruhepol. Dort bereite ich meine Tourneen und Projekte vor und lasse mich von der Musikmetropole inspirieren. Mit der Familie sind wir sehr selten in Dresden. Aber dieser Wohnort erlaubt mir, meine Festivals zu betreuen und ist auch eine Station für mich zwischen den verschiedenen Konzerten in Europa. Die Bewegung zwischen den Kontinenten hat für mich eine erfrischende Seite. Die unterschiedliche Mentalität in den USA und Europa hilft mir, Dinge zu relativieren und eine gewisse Flexibilität zu bewahren.

Sie haben 2 Töchter. Üben die auch fleissig ein Instrument?
Sie spielen beide Geige und nehmen das ernst. Auch wenn sie vermutlich keine Musiker werden, es ist ein Teil ihres Lebens. Ich sehe, wie sie Schwierigkeiten überwinden und kleine Erfolgserlebnisse haben. Sie lernen, über Jahre hinweg kontinuierlich an etwas zu arbeiten, sich zu konzentrieren und ihre Gefühle auszudrücken. Erst jetzt verstehe ich wirklich, wie wichtig es ist, dass Kinder Instrumente lernen.

Sie sind künstlerischer Leiter des Moritzburg Festivals bei Dresden. Was ist das Spezielle an diesem Festival?
Es ist das Paradies auf Erden, sowohl für die Musiker als auch für das Publikum! Stellen sie sich eine idyllische Landschaft vor, mit fantastischen Musikerfreunden aus aller Welt. Wir wohnen an einem Ort, arbeiten intensiv an grosser Musik, essen gemeinsam, in der freien Zeit spielen wir Tischtennis oder Tischfussball. Alle Werke, die wir beim Festival aufführen, und das sind immerhin ca. 25 in jedem Jahr, werden auch in Moritzburg gemeinsam erarbeitet. Wir haben sehr viel Spass, und das überträgt sich auf das Publikum.

Sie sind auch Intendant der Dresdner Musikfestspiele. Was für Schwerpunkte setzen Sie dort?
Hier treibt mich eine Vision: Wie sollte ein modernes Klassikfestival im 21. Jahrhundert aussehen?
Die Stadt Dresden hatte mich 2008 gebeten, das Festival völlig neu auszurichten, es sollte internationaler werden und seine Ausstrahlung vergrössern. Für mich war klar, dass es dazu eine Botschaft braucht. Mich faszinierte hier die Geschichte Dresdens: die enorme musikalische Tradition, aber auch die Zerstörung im 2. Weltkrieg und der Wiederaufbau. Ich fand damals, dass das Festival für Weltoffenheit, Verständigung und Toleranz stehen soll. Das Festival hat sich prächtig entwickelt, und viele Besucher kommen aus der ganzen Welt nach Dresden.
Aber es konnte nicht verhindern, dass wir in diesem Winter tausende Demonstranten auf den Strassen Dresdens gesehen haben, die gegen eine angebliche 'Islamisierung des Abendlandes' protestiert haben.
Für mich die Bestätigung dafür, dass Musik gesellschaftliche Relevanz haben muss, und dass wir noch härter daran arbeiten müssen, die Menschen zu erreichen und zu sensibilisieren.

Sie wurden bereits 3 Mal mit einem Echo-Klassik-Preis ausgezeichnet. Haben diese 3 Preise eine unterschiedliche Bedeutung für Sie?
Der erste ECHO war sehr wichtig für mich. Im Jahr 2000 war meine Solokarriere noch recht jung, und der Preis, damals für meine Aufnahme der Cellokonzerte von Schumann und Widmann, unterstützte mich sehr. Den 2. ECHO gab es für eine Moritzburg-Aufnahme mit Mozart, und das motivierte auch alle Unterstützer des Festivals, weiter intensiv an diesem Projekt zu arbeiten. Der 3. ECHO war eine komplette Überraschung: Ich war so lange skeptisch, ob ich eine Aufnahme der Bach‘schen Kolloquien überhaupt wagen soll. Als sie dann fertig war, habe ich sie nie wieder angehört, obwohl ich im Studio bei der Arbeit sehr glücklich war. Ich habe die Aufnahme nach der Veröffentlichung komplett 'losgelassen', sie hat ihren eigenen Weg gemacht, und ich habe meinen eigenen Weg mit Bach fortgesetzt.

Im Oktober 2014 haben Sie vor der Echo-Verleihung zu Toleranz und Menschlichkeit aufgerufen. Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?
Es ist schon schmerzhaft zu sehen, wie verschieden die Künstlerwelt von der realen Welt ist. Wir haben Freunde und Kollegen in aller Welt, es herrscht völlige Toleranz und Akzeptanz des Lebensstils, der Religion oder sexuellen Orientierung. Dazu aufgeschlossene Dialoge zu Musik, Umwelt oder Politik. Und wie sieht die derzeitige Realität aus? Hass und Intoleranz nehmen überall zu, Konfrontation und Aggression bestimmen selbst in Europa mehr und mehr den Umgangston. So war es mir wichtig, die kurze Aufmerksamkeit um die ECHO-Verleihung zu nutzen, um einen Anfang zu machen. Ein Versuch, aus der Künstlerwelt heraus eine Stimme für Grundwerte der Demokratie zu formulieren.

Sehen Sie auch in der Klassikwelt Handlungsbedarf?
In der Klassikwelt weniger. Beethoven, Bach und Brahms erobern Asien und Indien, in fast allen Teilen der Welt breitet sich die klassische Musik aus. Aber wir müssen versuchen, mit der Musik Werte zu vermitteln, die Menschen emotional so direkt wie möglich anzusprechen, nur dann verändern wir unser Hörer, und die Musik findet ihre wirkliche Bestimmung.

Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann auch politisch aktiv zu werden?
Nein, das wäre ein Fehler. Aber die Tradition, dass Musiker für Humanismus eintreten, muss wiederbelebt werden. Das war im 19. und 20. Jahrhundert stärker, da gibt es ein weites Feld für gesellschaftliches Engagement, sehr nah an unserer Arbeit als Musiker, aber weit weg von der Politik, das müssen wir nutzen.

Welches sind Ihre nächste Projekte?
Im Moment beschäftigt mich mit einer Aufnahme von Werken von Tschaikowsky. Die Rokoko-Variationen für Cello und Orchester, aber auch 2 Geigenwerke interessieren mich hier, Serenade melancholique und Meditation. Tschaikowsky ist für mich ein grosser Dramatiker und Poet, wie Dostojewski oder Tolstoi in der Literatur. Ausserdem will ich weiter mit Darmsaiten experimentieren. 2014 habe ich für 'Concerti di Venezia' Darmsaiten auf mein Stradivari gespannt. Das war ein tolles Erlebnis und hat auch mein Spiel auf Stahlsaiten verändert. Nun möchte ich auch Werke des  19. Jahrhunderts auf Darmsaiten aufführen, in diesem Sommer folgen Beethovens Tripelkonzert und Schumanns Cellokonzert.


Interview von Florian Schär | Classicpoint.ch | 4.05.2015
Foto Jim Rakete

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