Felix Klieser im Interview
« Im Moment ist gerade alles so wunderbar. »
"Was ich mir als kleiner Junge mal erträumt habe, das habe ich längst erreicht“, strahlt Felix Klieser. In der Tat liest sich die bisherige Künstlerlaufbahn des 1991 geborenen Musikers eindrucksvoll: Erst jüngster Hornspieler aller Zeiten an der Musikschule Göttingen, dann mit 13 Jahren Jungstudent an der Hannoveraner Hochschule, Hornist im Bundesjugendorchester und auf Tournee mit Popstar Sting, „Life Award“-Preisträger und Bundessieger bei „Jugend musiziert“. 2013 erschien sein vielgelobtes Debüt-Album „Reveries“ mit dem Pianisten Christof Keymer und Werken der Romantik, im Jahr darauf gab’s den „Echo Klassik“ als Nachwuchskünstler des Jahres sowie den mit 10.000 Euro dotierten Musikpreis des Verbandes der Deutschen Konzertdirektionen – „er steht am Beginn einer aussichtsreichen Karriere“, prophezeit die Jury. Wen wundert’s dann, dass ein Buchverlag auf ihn aufmerksam wurde und ihm anbot, seine Autobiografie zu veröffentlichen. So geschehen, das Buch „Fußnoten – Ein Hornist ohne Arme erobert die Welt“ von Felix Klieser ist seit Sommer 2014 erhältlich. Inzwischen sogar auf Japanisch und Chinesisch.
Classicpoint.net: Sie wurden ohne Arme geboren und haben sich bereits als 4-Jähriger für das Horn entschieden. Trotz dieser widrigen Voraussetzungen gehören Sie heute zu den besten Hornisten weltweit und spielen mit Füssen besser als die meisten mit den Händen. Können Sie uns ein bischen von Ihren Anfängen erzählen?
Warum ich mich ausgerechnet als 4-Jähriger in das Horn verliebt habe, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Tatsache aber ist, dass ich nichts anderes wollte, obwohl in meiner Familie kein Musiker ist, und auch in meinem näheren Umfeld gab es in meiner Familie keine großen Interessen für Musik. Ich bin allen aber so lange auf die Nerven gegangen, bis ich vor einem Horn saß. Erst dann war ich zufrieden. Natürlich rät jeder vernünftige Hornlehrer davon ab, so früh mit diesem Instrument anzufangen. Schon alleine die Tatsache, dass ja irgendwann einmal die Milchzähne ausfallen und neue Zähne wachsen, ist im Grunde schon ein guter Grund, erst viel später damit anzufangen – vom fehlenden Lungenvolumen mal ganz abgesehen. Aber ich muss schon damals einen recht starrsinnigen Charakter gehabt haben, gegen den niemand so schnell angekommen ist. Ich weiß jedenfalls, dass es mir als Kind viel Spaß gemacht hat. Ich habe kleine Melodien geübt und nach ca. 1,5 Jahren konnte ich tatsächlich „Hänschen Klein“ auf dem Horn spielen. Es war ein Hobby, so wie andere Kinder Fußball spielen. Niemand hätte daran gedacht, dass ich das mal beruflich machen werde. Auch wenn ich natürlich zu Anfang nicht jeden Tag geübt habe, war es doch immer regelmäßig und mit der Zeit wurde ich besser. Irgendwann habe ich dann bei Wettbewerben mitgemacht und sogar gewonnen, bis hin zum Bundeswettbewerb „Jugend Musiziert“. Auch wenn es dann immer noch Leute gab, die meinen Enthusiasmus milde belächelt haben, merkte ich immer mehr, dass mich Hornspielen glücklich macht.
Haben Sie sich schon die Frage gestellt, ob Sie mit Händen vielleicht gar nicht so ein guter Hornist geworden wären? Weil der Ehrgeiz möglicherweise kleiner gewesen wäre?
Viele fragen mich immer, wie man denn Horn mit den Füßen lernen kann. Ich selbst habe mir diese Frage nie gestellt, ich habe es, wie alles andere im Leben auch, einfach gemacht. Da, wo kein Lehrer mehr weiterhelfen konnte, musste ich mir selbst helfen. Aber das hat mir schon als Kind Spaß gemacht und heute als Erwachsener ist es genau das, was mich antreibt: Ich liebe es, Probleme zu lösen, so lange an Techniken zu arbeiten, bis sie funktionieren. Ich denke nicht, dass ein Charakterzug von vorhandenen oder nicht vorhandenen Armen, Beinen oder Fingern abhängt. Ich bin schon immer sehr ehrgeizig gewesen und wollte Dinge verstehen und zum Funktionieren bringen. Über Arme denke ich für gewöhnlich nicht nach.
Sie spielen fast ohne zu stopfen, da Sie ja keinen rechten Arm haben. Sie haben mit jahrelangem Tüfteln an der Klangfindung gearbeitet und gestalten durch minimalste Veränderungen der Zungenstellung und der Erweiterung des Mundraumes die verschiedenen Klangfarben. Sind Sie da immer noch am Weitersuchen und finden noch neue klangliche Möglichkeiten?
Es war tatsächlich die größte Herausforderung für mich, den richtigen Klang zu finden. Daran habe ich viele, viele Jahre gearbeitet. Anfangs klang ich einfach sehr hoch, fast schon trompetig. Ich wollte aber so klingen wie alle anderen auch und daran musste ich arbeiten. Ehrlich gesagt, daran arbeite ich seit 20 Jahren und ich bin lange noch nicht am Ende. Das, was die Zuschauer im Konzert sehen, also wie ich das Horn bediene und die Klappen mit den Zehen drücke, das musste ich nie trainieren. Das hat schon immer funktioniert und ist für mich einfach der natürliche Umgang. Aber das, was die Zuschauer nicht sehen, sondern nur hören, daran habe ich hart gearbeitet.
Sie bezeichnen sich selbst nicht als besonders talentiert und sind überzeugt, dass man sich alles hart erarbeiten muss. Geben Sie auch Vorträge bei Firmen oder Veranstaltungen über Selbstmotivation und Wege zum Erfolg?
Nein, das habe ich noch nicht. Das gehört auch gar nicht zu meinen Zielen. Ich möchte einfach nur gut Horn spielen und ich freue mich immer, wenn die Menschen im Konzert hinterher zu mir kommen und mir sagen, wie sehr sie die Musik genossen haben.
Welches sind Ihre Lieblingskomponisten?
Wir Hornisten haben ja das große Glück, dass viele Komponisten für unser Instrument geschrieben haben. Richard Strauss, Ludwig van Beethoven, die Brüder Michael und Joseph Haydn, Johannes Brahms, aber auch Reinhold Gliere oder Camille Saint-Saëns… und natürlich der große Wolfgang Amadeus Mozart. Seine 4 Hornkonzerte sind wirkliche Prachtstücke und ich spiele sie unheimlich gerne im Konzert.
Zu welchen Kompositionen haben Sie eine besondere Beziehung?
Ich habe ja gerade die 4 Hornkonzerte von Mozart zusammen mit der Camerata Salzburg aufgenommen. Das Ganze dann auch noch in der Mozartstadt Salzburg im großen Saal des Mozarteums… mehr Mozart geht eigentlich nicht. Jeden Morgen bin ich vom Hotel an seinem Wohnhaus vorbei gelaufen – das macht schon etwas mit mir. Aber noch mehr Spaß hat es gemacht, sich mit den Hintergründen der Hornkonzerte zu beschäftigen. Mozart hat sie alle für seinen guten Freund Joseph Leutgeb geschrieben. Dieser war einige Jahre älter als Mozart und musste auch viel durchmachen, um an diese Kompositionen zu kommen. Mozart ließ ihn stundenlang am Ofen knien und drohte damit, alles bisher Geschriebene zu zerreissen, sollte er es ja nur wagen, aufzustehen. Oder er beschimpfte ihn in den Noten aufs Äußerste als „Esel, der doch mal Luft holen soll“, als „Sauschwanz, der keinen einzigen Ton trifft“ und so weiter. An einer sehr schwierigen Stelle lässt er die Geigen den Hornisten sogar auslachen. Und trotzdem waren sie eng befreundet. Solche Details sagen viel darüber aus, wie Mozart wohl als Mensch war und wie er selbst auch seine Musik gesehen hat. Das alles muss bei einer Aufnahme mit einfließen und mit diesem Wissen baut man als Solist auch eine besondere Beziehung zu einem Komponisten auf.
Was bedeutet Ihnen Musik ganz allgemein und warum ist Musik wichtig für die Menschen?
Das ist eine wirklich sehr schwer zu beantwortende Frage, denn Musik hat für jeden eine andere Bedeutung. Ich selbst könnte mir ein Leben ohne Musik gar nicht vorstellen, aber ich sehe das natürlich auch durch die berufliche Brille. Andere lassen Musik den ganzen Tag im Hintergrund dudeln und nehmen sie nur am Rande wahr. Das könnte ich nicht.
Musik ist seit mehreren tausend Jahren ein Teil unseres Lebens und kommt in jeder Zivilisation vor. Musiker hatten schon immer besondere Stellungen in der Gesellschaft. Musiker waren und sind Nachrichtenüberbringer, Geschichtenerzähler, der Spiegel der Gesellschaft, oder eben auch einfach nur Entertainer – wobei ich letzteres gar nicht abwertend meine, ich bewundere richtig gute Entertainer sehr und versuche auch immer, von ihnen zu lernen. Musik kann die Menschen glücklich machen, aber auch zum Nachdenken anregen. Manchmal kann Musik sogar eine Revolution auslösen. Jede Zeit hat ihre Musik und verbindet Menschen in unserer Gesellschaft.
Wo sehen Sie als Musiker Ihre Aufgabe in unserer Gesellschaft?
Zunächst einmal denke ich als klassischer Musiker nicht in politischen Dimensionen. Ich möchte den Zuhörern einen schönen Abend bereiten, möchte sie an die schönen Dinge des Lebens erinnern. Ich freue mich immer, wenn ich auch junge Leute im Konzertsaal sehe, vielleicht sogar welche, die selbst auch ein Instrument lernen, am besten natürlich Horn! Mit denen unterhalte ich mich immer und ab und zu kann ich sogar einen Ratschlag geben. Aus diesem Grund habe ich übrigens nicht nur einen Lehrauftrag an der Hochschule in Münster angenommen, sondern engagiere ich mich auch bei der Initiative „Rhapsody in School“ und gehe in Schulklassen, um den Schülern über mein Instrument oder meinen Beruf zu erzählen. Mir ist es wichtig, dass wir Klassiker nicht als elitärer Haufen betrachtet werden. Das nimmt den jungen Leuten hoffentlich die Hemmungen, auch mal in ein klassisches Konzert zu gehen, oder bringt sie sogar dazu, selbst ein Instrument zu lernen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Im Moment ist gerade alles so wunderbar. Ich habe viele Konzerte, darf um die ganze Welt reisen und lerne viele interessante Menschen kennen. Bei all diesen schönen Erfolgsmeldungen, versuche ich mich auch immer daran zu erinnern, dass ich ja noch nicht einmal 30 Jahre alt bin. Ich möchte diesen Beruf gerne so lange machen, wie die Menschen mir zuhören wollen.
Haben Sie auch Interessen oder Leidenschaften neben dem Horn?
Das Leben eines Berufsmusikers lässt leider nicht viel Zeit für andere Dinge. Entweder ich übe, oder ich reise oder ich spiele Konzerte. Dazwischen ist nicht mehr wirklich viel Luft. Da ist es ein Glück, dass ich leidenschaftlich gerne übe, unglaublich gerne in neue Länder reise und am liebsten Konzerte spiele.
Interview von Florian Schär | Classicpoint.net | 1.6.2019
© Bild: Maike Helbig
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